Die Silberschmiedin (2. Teil)
zeigte keine Regung. Er sah sie an, dann reichte er ihr die Schließe zurück.
«Nehmt sie wieder mit, Silberschmiedin Eva. Wie Ihr ausschaut, bekäme es Euch besser, das Stück zu verkaufen. Vergebt mir, dass ich keinen Bedarf an Schließen habe und auch die Eure nicht brauche.»
Scham schoss in Eva hoch. Sie wagte nicht, einen der Männer anzublicken. «Ich habe verstanden», flüsterte sie und wollte sich abwenden. Doch einer der Messfremden hielt sie am Arm fest und drückte ihr einen Goldgulden in die Hand. In seiner Miene sah sie Mitleid. Sie starrte auf das Geldstück in ihrer Hand, dann warf sie es zu Boden, als hätte es ihre Hand versengt, und rannte ohne Gruß zurück ins Haus.
Am Abend holte David sie in die Werkstatt. «Du hast Fugger verprellt», hielt er ihr vor. «Durch deine Ungeschicklichkeit werden wir auf dieser Messe nichts verkaufen. Du bist schuld, Eva. Deiner Mutter wäre das nicht passiert.»
«Warst du es nicht, der gesagt hat, ich solle mich von meiner Mutter lösen?», fragte sie.
«Ja, von ihrem Einfluss. Doch auch Sibylla hatte ihre Stärken.»
Dann rührte er Ton an und begann, Abdrücke von ihren Gliedmaßen zu machen. Eva saß auf dem Schemel und ließ es geschehen. Sie saß da wie tot. Sie fühlte nichts mehr. Keine Scham, keine Kälte, keine Trauer, keine Liebe.
Von diesem Abend an begann David damit, Abdrücke aus Ton von Evas Körperteilen zu nehmen. Aus den Fingern und Armen schuf er im Frühjahr Bestecke und Küchengeräte, die Füße dienten im Sommer als Böden für Pokale, und ihre Hände wurden in den Herbststürmen zu Schalen verwandelt.
Sie hatte aufgehört, sich dagegen zu wehren, weil sie wusste, dass David sie nicht verstand. Doch der Gedanke, dass jeder, der es wollte, ihre Füße, Hände, Finger und Waden berühren konnte, verursachte ihr Ekel. Manchmal wusste sie selbst nicht genau, was sie mehr anwiderte: die Waren oder die wenigen Leute, die diese kauften.
Als der erste Schnee fiel, bekam Eva rote Flecken an den Stellen, mit denen der Ton in Berührung kam. Ihre Haut wurde trocken und schuppig, juckte und brannte, obwohl sie ihren Körper danach stets mit der Ringelblumensalbe, die Adam für sie hergestellt hatte, einrieb. Zum neuen Jahr waren Evas Waden beide so entzündet, dass David davon keine Abdrücke nehmen konnte.
«Priska», rief David und winkte dem kleinen Lehrmädchen.
Sie kam herbeigeeilt. Er hieß sie, das Kleid bis zu den Knien hochzuziehen, damit er ihre Waden betrachten konnte. Priska tat es zögerlich. Sie wagte nicht, dem Meister zu widersprechen. Ihre Wangen waren vor Scham hochrot, und sie stellte sich so, dass außer David niemand ihr nacktes Bein sehen konnte.
Regina hatte bemerkt, was David vorhatte. «Meister, nehmt mich! Nehmt mich!», bat sie und schubste Priska zur Seite.
«Nimm Regina», mischte sich nun auch Eva ein. «Du siehst doch selbst, dass sie sich danach drängt. Priska würdest du nur quälen.»
«Ach ja? Ist es eine Qual, für die Ewigkeit festgehalten zu werden? Geschieht ihr ein Leid, wenn ich ihre Wade in Silber gieße?»
«Ja!», sagte Eva. «Auch ich möchte meine Glieder nicht in Küchengeräten wiederfinden.»
David erwiderte zornig: «Hast du einen besseren Einfall? Hattest du jemals einen Einfall? Etwas, was aus dir selber kam? Nein! Immer hast du nur gemacht, was andere machen, immer gedacht, was andere denken. Du bist ein Abbild. Mehr nicht, Eva.»
Eva schluckte und schwieg. Es war richtig. Sie hatte keine Einfälle, verfügte nicht über die Schöpferkraft ihrer Mutter. Wozu war sie eigentlich nütze?
David hatte sich in Rage geredet. «Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Daran glaubst doch auch du, Eva? Oder nicht?», fuhr er fort.
Sie nickte.
«Gut. Wenn der Mensch das Maß aller Dinge ist, warum dann nicht auch das Maß für Pokale und Kelche?»
Eva schloss die Augen. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Wieder klangen Davids Worte richtig, und wieder fühlten sie sich falsch an.
David befahl Priska barsch, sich mit nackten Beinen auf einen Schemel zu setzen. Regina aber, die ihren Anspruch auf Ewigkeit noch nicht verloren geben wollte, brachte eine große Schüssel nassen, kalten Ton und hockte sich neben Priska.
David befühlte die Waden der Zwillinge.
Priska hatte die Augen geschlossen und die Zähne fest zusammengebissen. Ihre Hände krallten sich um den Schemel, sodass ihre Fingerknöchel weiß hervorstachen.
Regina aber kicherte, als Davids Hände sie berührten. Sie
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