Die Silberschmiedin (2. Teil)
hatte das zu bedeuten? Was würde David jetzt tun? Panik überkam sie. Sie riss sich los und floh zurück in die Stadt.
Erst im Schutze des Bettes offenbarte sich das Ungeheuerliche, das sie gesehen hatte, in vollem Umfang.
Ihr Bruder Adam war ein Sodomit, einer, der der größten Sünde frönte, der widernatürlichen Unzucht. Jedes Kind wusste, was geschah, wenn herauskam, dass Adam einen anderen Mann liebte. Der Scheiterhaufen war ihm gewiss. Sodomiten wurden verbrannt, das sündige Fleisch musste zur Asche werden, die sündigen Gedanken zu Rauch.
Der Gedanke an Feuer und Folter schnürte Eva die Kehle zu. Sie musste Adam helfen. Er war ihr Bruder. Und war es nicht gleichgültig, wen man liebte? Sie stockte bei diesem Gedanken. War nicht das, was David mit ihr machte, auch eine Form der Sünde? Versündigte er sich nicht an ihr, wenn er sie ihrer Würde beraubte?
Als sie David nach Hause kommen hörte, stellte sie sich schlafend und wartete voller Angst und Grauen auf den nächsten Morgen.
Das Frühstück verlief in der gewohnten Schweigsamkeit, nur hin und wieder von Reginas Vorwitz unterbrochen.
Eva beobachtete David aufmerksam. Sie musste herausfinden, was er vorhatte. Aber David war wie immer.
Als das Mahl beendet war, suchte Eva nach einer Gelegenheit, ihren Bruder zu warnen. Doch David ließ sie nicht aus den Augen, als ahnte er, was sie vorhatte. Schließlich wurde es Abend.
Priska fegte die Werkstatt, Eva bürstete die Lederschürzen aus, und Heinrich war im Hof verschwunden, um das Brennholz für den nächsten Tag zu spalten. Regina aber hatte sich schon vor einer ganzen Weile mit der Ausrede, Besorgungen für Susanne erledigen zu müssen, aus dem Staub gemacht.
Plötzlich stand Adam in der Tür. Er zeigte mit dem Finger auf die beiden Pokale. «Ich kaufe sie dir ab», sagte er. «Wie viel willst du für die Würde meiner Schwester?»
David lachte. «Du wagst es, von Würde zu sprechen? Ausgerechnet du! An deiner Stelle würde ich mein Bündel schnüren und zusehen, dass ich noch vor dem Abendrot die Stadttore hinter mir lasse.»
«Ich weiß nicht, was du meinst», erwiderte Adam ruhig. «Nenn mir den Preis für die Pokale.»
«Sie sind nicht verkäuflich. Und schon gar nicht an einen, der widernatürliche Unzucht betreibt.»
David stützte die Fäuste auf seine Werkbank und blickte Adam herausfordernd an.
Adam begann zu zittern. In seinen Augen stand nackte Angst.
«Na, Schwager, was sagst du jetzt? Möchtest du noch immer die ‹Würde› meiner Frau verteidigen?»
David lachte. Der Triumph verwandelte sein Gesicht in eine Fratze.
Adam war blass vor Wut geworden.
«Überlege dir genau, was du tust, Silberschmied. Gib die Pokale heraus, und ich vergesse, was in einem Schreiben vom Rat der Stadt Halle stand, das ich kürzlich erhielt. Es ging darin um einen Goldschmiedelehrling, der aus der Stadt fliehen musste, weil seine unehrliche Abkunft offenbar geworden war. Sogar einen Schandbrief gab es, der an sämtlichen Kirchentüren angeschlagen war. Wie du selbst weißt, kommt ein solcher Schand- oder Schmähbrief einer Morddrohung gleich.»
Jetzt war es David, der blass wurde.
«Ein Exemplar des Briefes fand sich noch in der Zunftlade der Goldschmiede. Er wird gut aufbewahrt, schrieb mir der Zunftmeister. Der Geschmähte, so heißt es weiter, stammte aus Naumburg. Ein Lügner und Betrüger sei er gewesen.»
Mit jedem Wort gewann Adam an Sicherheit zurück.
«Du weißt wohl», sprach Adam weiter und trat auf die andere Seite der Werkbank, «dass es ein Leichtes ist, die nötigen Beweise zu beschaffen. Der Galgen ist dem sicher, David, der sich durch Betrug Heirat, Meisterwürde und Bürgerrecht erschleicht. Ebenso wie mir der Scheiterhaufen.»
Die beiden starrten sich über den Tisch hinweg an.
Schließlich begann David zu lachen. Es klang scheppernd und schrill. «Du bist verrückt, Adam Kopper. Die Unzucht hat dir das Hirn aufgeweicht. Meine Papiere sind in bester Ordnung. Du kannst bei der Innung nachfragen. Der Gesellenbrief ist von der Nürnberger Zunft bestätigt, ebenso die ehrliche Geburt. Willst du etwa das Schreiben des Innungsmeisters einer der größten und prächtigsten deutschen Städte anzweifeln? Oh, nein, Adam. Von dir habe ich nichts zu befürchten. Meine Seele ist so rein wie das erste Schneeglöckchen im Frühjahr.»
Er nahm die beiden Pokale, stellte sie in eine Ecke des Regales und verhängte sie mit einem Tuch. Adam blieb nichts anderes übrig, als seine
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