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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Werning
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Duftspur verriet seine Gegenwart. Er nahm erneut das Messer zur Hand und schritt an dem langen Netz entlang, bis er eine Lücke gefunden hatte, die groß genug war, um ihn durchzulassen. Die hauchdünnen Netzfäden begannen zu vibrieren, als er sie berührte. Von einem Augenblick zum anderen verstärkte sich die betäubende Duftpräsenz des Nachtspinners, und aus einigen Dutzend Metern Entfernung kam schabendes Kratzen.
    Tajimas Nackenhaare richteten sich auf. Sein angeschwollenes Bein hatte sich im Netzwerk verfangen, und die einzelnen Fäden zogen sich nun um das vermeintliche Opfer zusammen. Es war ein automatischer Reflex. Tajima beugte sich zur Seite, und die Klinge seines Messers schabte über die Fäden, ohne sie zerschneiden zu können. Er hieb zu, aber auch damit konnte er nichts ausrichten.
    Ein dunkler Schatten kroch über die Felsen in seine Richtung. Tajima hielt unwillkürlich den Atem an, als er das Nachtgeschöpf erblickte. Zwanzig oder mehr Beine tasteten an den Sensorpunkten des Fangnetzes entlang und analysierten den Aufenthaltsort des Opfers. Ein Nachtspinner war für einen Soldaten normalerweise kein ernstzunehmender Gegner. Doch Tajima war gefangen und verletzt. Schmerz brannte hinter seinen Augen und nahm ihm die Sicht. Und Schwäche ließ seine Muskeln erschlaffen.
    Das Messer entglitt seinen kraftlos werdenden Händen.
    Der Nachtspinner hielt einen Augenblick inne und setzte sich dann wieder in Bewegung. Weiter dem im Netz gefangenen Opfer entgegen. Fühler strichen über Tajimas Körper. Er schrie auf, und der Klang seiner Stimme hallte weit über das Land.
    Ein zweiter Schatten glitt aus der Halbdämmerung, nicht annähernd so groß wie der des Nachtspinners. Silberfarbene Haare wehten einem Banner gleich. Zwei Arme erhoben sich, und eine mächtige Stimme ertönte.
    »Ich rufe euch, die ihr seid! « Worte von einer Eindringlichkeit, der man sich nicht zu entziehen vermochte. Der Boden begann zu erzittern, als die elementaren Gewalten beschworen wurden. »Ich rufe euch, die ihr seid! Verleiht mir eure Kraft und eure Stärke. Ich werde es euch danken.«
    Magische Worte. Ein filigranes Netzwerk aus Beschwörungen. Der Nachtspinner löste sich auf. Und mit ihm das Netz. Tajima stürzte zu Boden. Der zweite Schatten eilte an seine Seite.
    »Außen … weltlerin … ich …«
    »Ja, ich weiß«, sagte Rovaria Louca. Ihre zarten Hände strichen über seine Wangen, glitten an seinem Körper entlang und berührten seine Deformierungen. »Ich habe es gespürt. Ich warte schon lange, Tajima. Du bist gestorben. Aber die Lehrunterweisungen haben nicht ausgereicht. Du hast einige Fehler gemacht.«
    »Kannst du mir … helfen …?«
    Nacht senkte sich über seine Gedanken. Erneut war der Tod nahe. Aber Tajima spürte, daß er diesmal nicht die Kraft zur Selbstregeneration hatte. Dieser Tod war endgültig.
    Kühle wehte heran und erstickte die brennende Hitze in seinen Adern. Ruhe senkte sich über ihn und eliminierte Aufruhr und Pein. Sein Atem ging nun regelmäßiger.
    »Spürst du es nicht?« Und wieder das reine, glockenhelle Lachen. Tajimas Herz schlug schneller. »Ja, ich kann dir helfen. Ich habe dir ja gesagt, daß ich über Fähigkeiten verfüge, die sich als wertvoll erweisen mögen.«
    Die Schwellung seines linken Beins ging zurück. Bald darauf konnte er es wieder bewegen. Finger bildeten sich an seiner linken Hand, und die Steifheit in seinem Rücken löste sich auf. Einige Minuten später erhob er sich. Die Schwäche war verschwunden, und der Schmerz nur noch ein dumpfes Pochen tief in seinem Innern.
    »Die Mentalabhängigkeit …« Er sah sie an. Sie war ein Engel aus einer anderen Welt. »Habe ich sie … überwunden?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe es. Wir werden es bald feststellen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und schien eine Zeitlang einer Stimme zu lauschen, die nur sie hören konnte. »Komm jetzt, Tajima. Ich spüre eine … ferne Vibration. Etwas … Unangenehmes. Ich weiß nicht, was es ist. Aber es ist besser, diesen Ort rasch zu verlassen.«
    Sie machten sich auf den Weg.
     
    Vor der schweren Tür aus dicken und uralten Edelholzbohlen, die mit Beschlägen aus poliertem Silber versehen waren, blieb Karamanash Ohtani einen Augenblick stehen. Fast andächtig schob er den goldenen Schlüssel in die Schloßaussparung. Kurzes Knirschen. Und die Tür sprang auf. Der Patriarch trat rasch in den Raum und schloß die Tür wieder. Wärme schlug ihm entgegen. Und dunstige

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