Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
gute Idee, Hermann.«
Er schnaufte und sagte: »Wir kennen uns nun schon eine ganze Weile …«
»Das ist wahr. Mir geht es genauso.«
»Und es tut mir so leid, dass du vorhin gestorben bist.«
»Jetzt geht es mir wieder besser.«
»Aber ich wollte dir nur helfen. Ich dachte, wir könnten Freunde sein.«
»Wir sind Freunde, Hermann.«
»Ich …«, sagte er. »Ich …« Wobei er den Mund aufriss und ich tief aus seinen Eingeweiden ein Platzen oder Reißen hörte, als ginge irgendetwas in ihm endgültig entzwei. Was war es bloß? Ich glaube nicht, dass es ihm wehtat, jedenfalls deutete nichts darauf hin. Ich legte ihm die Hand auf die Brust und spürte sein rasendes Herz, ehe es auf einmal aussetzte. Eine Luftsäule presste sich aus seinem Mund, und sein Körper verkrampfte sich ein letztes Mal. Dann war alles still, und die Uhr von Hermann Kermit Warm war stehen geblieben. Sein rechter Arm fiel zur Seite. Ich legte ihn wieder zurück, er fiel abermals, und ich ließ ihn so und ging. Charlie saß draußen am Feuer. Eigentlich war alles wie vorher, bis auf ein kleines Detail.
Die Indianer. Ein halbes Dutzend plünderte unser Lager undsuchte überall nach Wertsachen, die sie an sich nehmen und behalten könnten. Die Satteltaschen übersahen sie dabei ebenso wenig wie unsere Pferde und Esel. Kaum trat ich aus dem Zelt, sah ich mich einer Rothaut gegenüber, die mir mit vorgehaltener Flinte bedeutete, mich zu Charlie ans Feuer zu setzen, was ich tat. Weder Charlie noch ich war bewaffnet, unsere Pistolengurte lagen friedlich neben den Sätteln auf dem Boden, wie immer, wenn wir irgendwo lagerten. Aber selbst wenn Charlie seine Pistole gehabt hätte, möchte ich bezweifeln, dass er sie in diesem Moment auch gezogen hätte. Er saß nur da, starrte ins Feuer und ignorierte unsere Besucher, so gut es ging. Anscheinend wollte er von nichts und niemandem mehr behelligt werden.
Den Eimer mit Gold hatten die Indianer übrigens noch nicht entdeckt, er stand nach wie vor neben uns. Er wäre wohl auch unentdeckt geblieben, hätte Charlie nicht versucht, ihn unter seinem Hut zu verstecken, was das Misstrauen des Indianers mit der Flinte erregte. Er kam her und stieß den Hut beiseite. Sein stoisches Gesicht kannte kein Lächeln, selbst dann nicht, als er sah, was sich in dem Eimer befand. Immerhin war es so interessant, dass er die anderen herrief, worauf dann alle ums Feuer saßen und nacheinander in den Eimer sahen. Einer fing an zu lachen, doch die anderen fuhren ihm über den Mund, indem sie, wenn mich nicht alles täuschte, sagten, er solle das Maul halten. Ein anderer ging mich ziemlich rüde an und fragte, woher wir so viel Gold hätten. Ich deutete auf den Fluss, wofür er mich mit Verachtung strafte. Dann kippten sie den Eimer aus und verteilten den gesamten Inhalt in einzelne Lederbeutel. Anschließend erhoben sie sich und diskutierten weiter, anscheinend über Charlie und mich, denn sie zeigten immer wieder mit dem Finger auf uns. Dann ging der Indianer mit der Flinte in Warms Zelt und bekam einen gehörigen und hörbaren Schreck. Ich weiß, es ist geradezu unindianisch, seine Gefühle auf diese Weise zu zeigen, aber genauso war es. Er bekam einen Schreck und schnappte nach Luft wie ein altes Weib und wäre am liebsten gleich fortgerannt, mit geweiteten Augen und Hand vor dem Mund, denn das war wohl zu viel für ihn. Er scheuchte auch die anderen gleich weg, nämlich Richtung Fluss, was die sich nicht zweimal sagen ließen, als sie vernahmen, was er in dem Zelt gesehen hatte. Binnen Kurzem waren sie alle in der Dunkelheit verschwunden. Was ich seltsam fand: Unsere Waffen und Pferde ließen sie links liegen, auch an unserem Leben waren sie nicht interessiert. Aber sie dachten vermutlich, wir hätten die Lepra oder sonst einen Aussatz. Vielleicht reichte ihnen auch einfach das Gold.
»Warm ist tot«, sagte ich zu Charlie.
»Ich lege mich schlafen«, erwiderte er.
Und genau das tat er dann auch.
Am nächsten Morgen begrub ich Warm. Das machte ich allein, ohne die Hilfe von Charlie, obwohl er sich bei der Zeremonie selbst wieder sehen ließ, missmutig, aber immerhin. Warms Satteltasche war vollgestopft mit Tagebüchern und Aufzeichnungen. Darin suchte ich nach der Formel, doch das ganze Zeug war mehr oder weniger unverständlich, was nicht so sehr an meinem fehlenden chemischen Wissen lag als an seiner, man muss es leider sagen, Drecksklaue. Irgendwann gab ich es auf und legte ihm die Bücher auf die Brust, ehe ich
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