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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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langsam von hier verschwinden?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wir können Warm nicht alleine sterben lassen.«
    »Aber das kann noch Tage dauern.«
    »Dann bleiben wir eben noch Tage.«
    Mehr wurde zu dem Thema nicht gesagt, und genau das markierte für mich den Beginn unserer neuen Bruderschaft. Nie wieder sollte Charlie derjenige sein, der alles bestimmte, im Vertrauen darauf, dass ich schon hinterhertrottete. Zwar hatten sich die alten Rollen nicht direkt in ihr Gegenteil verkehrt, sie waren vielmehr abgeschafft. Selbst heute noch gehen wir äußerst behutsam miteinander um und vermeiden alles, was den anderen reizen könnte. Ich weiß nicht, warum es gerade an diesem Tag geschah, aber der alte Ton war plötzlich nicht mehr da – wie eine Flamme, die man ausgeblasen hat. Natürlich bewirkte eine unerklärliche Nostalgie, dass ich dem Gehabten, kaum war es nicht mehr da, noch eine Weile nachweinte, aber auch das ging vorbei, denn eine Frage beschäftigte mich viel mehr. Die Frage: Was war aus meinem ehedem so furchtlosen Bruder geworden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur so viel: Er war weg und musste erst noch zurückkehren.
    Was Warm anging, so warteten wir nicht Tage, sondern nur Stunden. Die Nacht war gekommen, Charlie und ich lagen träge am Feuer, da hörten wir aus dem Zelt seine schwache Stimme: »Hallo? Ist da noch jemand?« Charlie wollte nicht zu ihm gehen, also tat ich es.
    Warm lag im Sterben. Er wusste das, und es machte ihm Angst. Ich fragte mich, ob er kurz vor seinem Ende doch noch zum Glauben fand und um beschleunigte Aufnahme ins Paradies bat. Doch nein, dieser Mann stand zu fest in seinem Unglauben, als dass er in letzter Minute feige von der Fahne ging. Wie sich zeigte, wollte er mit mir auch gar nicht sprechen, sondern mit Morris. Dass Morris nicht mehr lebte, hatte er vergessen.
    »Warum ist Morris nicht hier?«, röchelte er.
    »Morris ist heute Morgen gestorben, Hermann, weißt du das nicht mehr?«
    »Was? Morris tot?« Seine Stirn legte sich in Akkordeon-Falten, und der Mund öffnete sich im Schmerz, und ich sah in die blutige Mundhöhle. Er drehte sich von mir weg und holte tief Luft, rasselnd und unter Mühen, als stecke ihm etwas in der Luftröhre. Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen, was ihn abermals in meine Richtung blicken ließ. Er fragte: »Wer ist da? Bist du das, Morris?«
    Da sagte ich: »Ja.«
    »Oh, Morris! Wo bist du gewesen?« Seine Erleichterung war so echt, dass es mir die Kehle zuschnürte.
    »Ich habe Brennholz gesammelt.«
    Warm war wie ausgewechselt. »So? Brennholz? Wunderbar! Gute Idee! Dann machen wir heute Abend ein großes Freudenfeuer, zum krönenden Abschluss unserer Operation! Außerdem können wir viel besser sehen, was wir alles gesammelt haben. Aber es ist ein Vermögen, für jeden von uns, das weiß ich. Na, was sagst du?«
    »Das hört sich gut an«, pflichtete ich ihm bei.
    »Wo sind eigentlich die anderen geblieben?«, sagte er, mehr zu sich. »Na egal. Dieser Charlie hat die Arbeit auch nicht gerade erfunden.«
    »Das stimmt. Er steht lieber daneben und guckt zu.«
    »Und der Ordentlichste ist er auch nicht.«
    »Kann man nicht sagen, nein.«
    »Aber alles in allem ist er ein anständiger Kerl, Hermann. Du hattest mal wieder recht.«
    »Und wo ist der andere, dieser Eli?«
    »Irgendwo da draußen.«
    »Er bewacht wohl das Lager.«
    »Ja, er steht draußen, im Dunkeln.«
    Etwas leiser sagte er: »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich mag den Dicken irgendwie.«
    »Umgekehrt aber auch, Hermann. Das ist nicht zu übersehen.«
    »Holla, was ist denn das?«
    »Ich sagte, er mag dich ebenfalls, Hermann.«
    »Höre ich hier Eifersucht?«
    »Bestimmt nicht.«
    »Ich bin geschmeichelt. Wer hätte gedacht, dass ich noch einmal so viele Kameraden um mich versammle? Und lauter hochanständige, ehrenwerte Männer! Wie lange habe ich mich wie ein Aussätziger gefühlt!« Bei diesen Worten kräuselten sich seine Lippen in bittersüßer Traurigkeit, und er schloss die trüben Augen. Tränen quollen unter den geschlossenen Lidern hervor, und ich wischte sie mit dem Daumen fort. Danach machte Warm die Augen nicht mehr auf, sondern sagte nur: »Morris, sollte es sein, dass ich die Nacht nicht überlebe, möchte ich, dass du mit der Formel weiterarbeitest.«
    »Denk doch nicht an so was! Ruh dich aus.«
    »Außerdem habe ich mir überlegt: Wenn man die Haut vorher mit Schweineschmalz einreibt, dürfte sich der Schaden in Grenzen halten …«
    »Eine

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