Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
Vom Netzwerk:
sich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, aber es atmete offenbar nicht mehr. Ich wandte mich um und sah in den schwarzen Rachen der Hütte. Ein Schauder überkam mich und pflanzte sich fort bis in die äußersten Enden meiner Arme und Beine. Ich zitterte wie Espenlaub.

Ich kehrte in die Hütte zurück. Fluch hin oder her, ich hatte nicht vor, Charlie den Vorfall zu berichten. Ich versuchte meinen Gesundheitszustand einzuschätzen, konnte aber außer jenem Zittern, das übrigens allmählich nachließ, nichts Ungewöhnliches feststellen. Es waren die Nerven, nichts weiter. Mein Pferd Tub hingegen rührte sich immer noch nicht, und ich war sicher, dass es den Angriff des Bären nicht überlebt hatte. Als sich aber ein kleiner Kleiber auf seine Nüstern setzte, sprang es sofort auf und schüttelte schnaubend den Kopf. Ich trat von der Tür weg und legte mich auf den Strohsack. Dieser war klamm, voll harter Klumpen und roch nach modrigen Plaggen. Ich schnitt ein Loch hinein und sah nach. Tatsächlich, der Strohsack war – wohl nach Hexenmanier! – mit Gras und Erde befüllt. Da schlief ich lieber auf dem Boden neben dem Kamin. Eine Stunde später wachte ich auf. Mein Bruder rief von draußen nach mir und bearbeitete das Fenster bereits mit der Axt.

Durch das Loch kroch ich ins Freie, danach setzten wir uns neben den toten Bären. Charlie sagte: »Ich sah diesen Kameraden hier und habe nach dir gerufen, aber es kam keine Antwort. Erst dann sah ich dich auf dem Boden liegen. Ist ein äußerst unschönes Gefühl, wenn man eigentlich durch die Tür stürmen will, sich plötzlich aber keinen Schritt mehr vorwagt.« Er fragte mich, was passiert sei, und ich erwiderte: »Nicht viel, eigentlich. Aus dem Wald kam ein Bär und hat mein Pferd angefallen. Ich nahm ihn aufs Korn und schoss ihn tot.«
    »Wie viele Schuss?«
    »Ich habe zwei Revolver leer geschossen. Mit beiden habe ich zweimal getroffen.«
    Charlie besah sich die Wunden des Bären. Hast du durch das Fenster oder durch die Tür geschossen?«
    »Warum fragst du?«
    »Nur so.« Er zuckte die Achseln. »Gut getroffen, Bruderherz, alle Achtung.«
    »Reines Glück«, sagte ich und fragte nach der Axt, weil ich das Thema wechseln wollte.
    »Da waren ein paar Goldsucher auf dem Weg nach Süden«, sagte er. Die Knöchel seiner Hand waren blutverkrustet, und ich fragte ihn, woher die Verletzung käme. »Die Männer konnten sich nicht recht entscheiden, ob sie mir ihr Werkzeug leihen sollten. Jetzt brauchen sie keine Axt mehr.« Durch das verbreiterte Fenster kletterte er in die Hütte zurück. Erst wusste ich nicht, was er vorhatte, aber schon bald quoll Rauch heraus. Dann flogen meine Satteltasche und die Pfanne aus dem Fenster, schließlich kam er selbst und zeigte mir sein breites Grinsen. Als wir davonritten, war die Hütte nur noch ein wirbelnder Tornado aus Höllenhitze und lohenden Flammen, ebenso wie der tote Bär, den Charlie zuvor mit Lampenöl übergossen hatte. Alles in allem ein imposanter Anblick, wenn auch ein trauriger, weswegen ich froh war, diesen Ort hinter mir zu lassen. Weil sich nämlich um eines nicht herumreden ließ: Ich war fähig gewesen, diese verfluchte Tür zu durchschreiten (und zwar für ein Pferd, das ich nicht einmal haben wollte), er dagegen, Charlie, nicht! Nicht einmal für seinen eigenen Bruder wollte er so etwas tun. Aber so ist es nun einmal, dachte ich, das Leben besteht aus Höhen und Tiefen.

Das Auge meines Pferdes Tub war rot geschwollen und sah aus wie blind, wodurch sich auch sein merkwürdiges Verhalten erklärte. Zog ich den linken Zügel, ging er nach rechts, auch blieb er immer wieder stehen oder brach seitlich aus und so weiter. Bis ich zu Charlie sagte: »Ich glaube, der Bär hat ihm einen Dachschaden verpasst.«
    Worauf Charlie sagte: »Das gibt sich.« Im selben Moment lief mein Pferd Tub geradewegs gegen einen Baum und fing an, laut zu urinieren. Charlie sagte: »Du bist zu nett zu ihm. Gib ihm richtig die Sporen, dann wacht er schon wieder auf.«
    »Bei meinem letzten Pferd war so etwas nicht nötig.«
    Charlie schüttelte den Kopf. »Fang nicht wieder damit an. Wir hatten das Thema bereits.«
    »Mein letztes Pferd war klüger als mancher erwachsene Mann, den ich kannte.«
    Doch damit stieß ich bei Charlie auf taube Ohren, für ihn war die Sache erledigt. So erreichten wir das Lager der toten Goldsucher – besser: der toten Männer, die vielleicht einmal auf Gold gestoßen wären, vielleicht aber auch nicht. Ich zählte

Weitere Kostenlose Bücher