Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
wir auf irgendein Organversagen, wonach er vom Pferd fiel und sich das Genick brach. »Und das Pferd lief einfach weiter. Jede Wette, es kannte den Weg zur Höhle. Ich frage mich, was wohl passiert wäre, wenn die Rothaut uns beide hier angetroffen hätte.« Der Rappe senkte den Kopf und stupste mit dem Maul den toten Indianer an. Gleichzeitig spürte ich den Blick meines Pferdes Tub auf mir und wollte ebenfalls nur noch weg. Der Rappe wollte zunächst gar nicht, doch als der Ort des Geschehens endlich hinter uns lag, trabte er ganz ordentlich, trotz des unwegsamen Geländes. Starker Regen setzte ein, nur war es kein kalter Regen mehr. Ich schwitzte sogar, genauso wie mein Pferd. Sein Geruch und seine Wärme waren mir angenehm, jeder Schritt so präzise und elegant, dass ich mich zu diesem Fund beglückwünschte, wenngleich mich beim Gedanken an mein altes Pferd das schlechte Gewissen plagte, denn Tub würde verschwinden müssen, das stand fest. Ich drehte mich nach ihm um und sah, welche Mühe es ihn kostete mitzuhalten. Sein Auge war blutunterlaufen und nässte, und dauernd hielt er den Kopf schräg nach oben, als müsse er sonst ertrinken.
Bei unserer Ankunft in Jacksonville fragte ich mich natürlich, ob Charlie zu seinem Hotelverzicht stünde. Doch schon die Art, wie er den ersten hell erleuchteten Saloon ansah, zeigte mir, dass daraus nichts werden würde. Wir brachten die Pferde in einen Mietstall, und ich sagte dem Stallmeister, dass der Schwarze neue Eisen benötigte. Außerdem fragte ich, was er mir für mein Pferd Tub geben würde. Der Mann leuchtete ihm mit der Lampe ins verletzte Auge und meinte, das könne er erst bei Tageslicht sagen. Mitten auf der Main Street trennten wir uns, Charlie und ich, denn jeder hatte jetzt andere Prioritäten. Er wollte trinken und ich essen. Er zeigte auf das Hotel am Platz, dort wollten wir später wieder zusammentreffen.
Das Unwetter war vorbei, am sternenklaren Nachthimmel zog ein voller Mond auf. Ich ging in ein bescheidenes Speiselokal, setzte mich ans Fenster und betrachtete meine bloßen Hände auf der nackten Tischplatte. Ich bin nicht eitel, was meine Hände angeht, aber im trüben Licht wirkten sie von elfenbeinernem Ebenmaß. Dann kam ein Bursche und stellte eine Kerze hin und ruinierte alles. Dafür konnte ich jetzt die Speisekarte an der Wand lesen. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr genossen, und schon abends zuvor war Schmalhans Küchenmeister gewesen, darum grummelte mein Magen erheblich. Leider musste ich feststellen, dass die meisten der angebotenen Speisen eher von der fettigen Sorte waren. Als dann der Kellner kam und unter einer angedeuteten Verbeugung und mit gezücktem Bleistift meine Bestellung entgegennehmen wollte, fragte ich ihn, ob sie auch etwas weniger Deftiges hätten.
»Haben Sie keinen Hunger, Sir?«
»Doch, ich bin sogar schon ganz entkräftet vor Hunger«, entgegnete ich. »Trotzdem hätte ich gern etwas, nach dem man sich nicht so gemästet fühlt wie nach Bier, Steak und Bratkartoffeln.«
Der Kellner tippte mit dem Bleistift nachdenklich auf seinen Block. »Sie wollen also etwas essen, von dem man nicht satt wird?«
»Ich wäre gerne vom Hunger erlöst, ja?«
»Und wo ist der Unterschied?«
»Ich will zwar etwas essen, aber nichts Schweres, das nur belastet.«
Er sagte: »Nach meinem Verständnis ist das der ganze Sinn von Essen: so satt zu werden, dass man nicht mehr kann.«
»Wollen Sie sagen, es gibt überhaupt keine Alternative zu dem, was auf der Speisekarte steht.«
Der Mann war zunehmend verwirrt und holte sich Verstärkung. Diese kam in Gestalt der überlasteten Köchin – und diese war über die Störung nicht erfreut.
»Was gibt es für ein Problem, Sir?«, fragte sie, indem sie sich die Hände an den Ärmeln abwischte.
»Ich habe nicht gesagt, dass es ein Problem gibt. Ich habe nur gefragt, ob es auch leichtere Gerichte gibt als die auf Ihrer Speisekarte.«
Die Köchin schaute erst den Kellner an, dann mich. »Haben Sie keinen Hunger?«
»Wenn Sie nicht hungrig sind, könne wir ihnen eine halbe Portion servieren.«
»Ich sagte bereits, ich habe Hunger. Ich bin sogar völlig ausgehungert. Trotzdem hätte ich gern etwas weniger Sättigendes, etwas ohne diese Völle , um es mal so zu sagen.«
»Also wenn ich etwas esse, habe ich gern etwas Sättigendes«, sagte die Köchin.
»Das ist der Sinn von Essen«, wiederholte der Kellner.
»Und am Ende will ich richtig satt sein. Ich will mir über den Bauch
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