Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
streichen und sagen können: Jetzt bin ich voll!«
»Das macht man so.«
»Na gut«, sagte ich, »dann nehme ich ein halbes Steak, aber ohne die Kartoffeln. Und Wein. Haben Sie vielleicht Gemüse? Sie wissen schon: Grünzeug?«
Es fehlte nicht viel, und die Köchin wäre in Lachen ausgebrochen. »Ich glaube, bei den Kaninchenställen haben wir noch ein paar Möhren.«
»Dann bringen Sie mir Möhren zum Steak, geschälte und gekochte Möhren. Ich zahle auch dasselbe wie für eine ganze Portion.«
»Wie Sie wollen«, sagte die Köchin.
»Gut, dann bringe ich erst mal den Wein«, sagte der Kellner.
Dann wurde aufgetragen. Es war eigentlich nur ein riesiger Haufen zerkochter Möhren, doch wie zum Hohn hatte die Köchin das Grün drangelassen. Obwohl ich mir ein Halbdutzend Stück einverleibte, schien es, als käme nichts davon im Magen an, und mit wachsender Verzweiflung stocherte ich nach dem Fitzelchen Fleisch. Ich entdeckte es schließlich am Grund des Tellers und genoss jeden einzelnen Bissen, nur war es eben nicht viel, und das deprimierte mich. Ich blies die Kerze aus und starrte einmal mehr auf meine geisterhaften Hände. Irgendwann fingen sie an zu kribbeln, und ich fragte mich, ob dies schon der Fluch der Hexe war? Wann genau würde der Fluch uns treffen und welche Form würde er annehmen? Der Kellner kam und räumte den Teller ab, wobei er auf die verbliebenen Möhren deutete und in seiner Einfalt fragte: »Hat Ihnen das Gemüse nicht geschmeckt?«
»Doch, es war gut«, antwortete ich. »Aber den Rest können Sie wieder mitnehmen.«
»Noch Wein?«
»Ein Glas, bitte.«
»Wünschen der Herr noch einen Nachtisch?«
»Nein, verdammt noch mal.«
Der erschrockene Kellner suchte schnell das Weite.
Als ich am Morgen nach Charlie sah, war ich wenig überrascht, ihn malade und wenig reisefreudig anzutreffen. Ich wollte ihn schon mit meinen halbherzigen Vorwürfen konfrontieren, doch er wusste selber am besten, dass wir uns keinen weiteren Fehltag mehr erlauben konnten, und versprach, binnen einer Stunde fertig zu sein. Mir war zwar schleierhaft, welche Zauberkur ihm in so kurzer Zeit auf die Beine helfen sollte, aber es scherte mich auch nicht sonderlich, deshalb überließ ich ihn den üblen Dünsten des gehabten Rausches und ging noch einmal in das Restaurant vom Vorabend, denn ein herzhaftes Frühstück war genau das, was ich jetzt brauchte. Mein alter Kellner war nicht da, dafür aber ein Junge, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war und den ich deshalb für seinen Sohn hielt. »Wo ist denn dein Vater?«, fragte ich ihn, und er, mit nervösen Händen, erwiderte: »Im Himmel.« Ich aß eine kleine Portion Rührei mit Bohnen, was meinen Hunger nur teilweise stillte. In diesem Moment hätte ich am liebsten noch den fettglänzenden Teller abgeleckt, allein der Anstand hielt mich davon ab. Der Junge kam und räumte ab, doch ich ließ ihn nicht aus den Augen. Eine Weile hielt er noch über seine Gästeschaft Wacht, dann verschwand er in die Küche und aus meinem Blickfeld. Aber er kam wieder und fragte, ob ich noch etwas haben wolle, ehe er mir die Rechnung brachte. »Wir haben frischen Kuchen«, sagte er.
»Was für Kuchen?«, wollte ich wissen und dachte zugleich: Bitte, lass es keinen Kirschkuchen sein.
»Kirsch«, sagte der Junge. »Frisch aus dem Ofen. Meistens ist er ganz schnell weg, unser Kirschkuchen ist berühmt.« Offenbar beunruhigte ihn aber das Gesicht, das ich bei seinen Worten machte, denn er sagte: »Haben Sie etwas, Mister?«
Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn, die Hände zitterten, der Wunsch nach Kirschkuchen wurde übermächtig. Mit der Serviette musste ich mir den Schweiß abwischen, als ich sagte: »Nein, alles in Ordnung. Ich bin nur müde.«
»Also was ist jetzt? Kirschkuchen oder nicht?«
»Keinen Kuchen!« Er gab mir die Rechnung und verzog sich in die Küche. Nachdem ich bezahlt hatte, war mir wohler. Stolz auf meine neue Tugend, machte ich mich daran, unseren Reiseproviant aufzustocken. Mitten auf der Straße stand ein Hahn und suchte Streit. Ich sah ihn nur an und tippte an meinen Hut, und der Hahn stob mit lautem Gezeter über die Pfützen davon, dass die Federn flogen. Hirnlosigkeit konnte so schön sein, wenn man selber davon nichts mitbekam.
Mit den Lebensmitteln war auch mein Vorrat an Zahnpulver dahingeschmolzen. Ich fragte den Inhaber des Handelspostens danach, einen kleinen Glatzkopf mit Weste, und er deutete auf ein paar Kartons im Regal, die
Weitere Kostenlose Bücher