Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
die ich nicht entschlüsseln konnte, aber als Dankesworte nahm. Dann ritt ich Charlie hinterher, dachte an ihre Stimme im leeren Zimmer, das Hotel, in dem sie tagein, tagaus schuftete und sich Sorgen machte, und war froh, dass ich ihr das Geld dagelassen hatte. Vielleicht machte es sie ja wenigstens für kurze Zeit glücklich. Daneben stand mein Entschluss fest: Ich wollte fünfundzwanzig Pfund abnehmen und ihr einen Liebesbrief schreiben, der voll des Lobes für sie war, verbunden mit dem Versprechen, ihr das Leben auf dieser Erde so weit wie möglich zu verschönern, und zwar mit der ganzen Hingabe, zu der ein Menschenwesen fähig war.
Uns saß ein Schneesturm im Nacken, der letzte seiner Art in diesem Winter, aber wir konnten unseren Vorsprung halten und kamen bis zum Abend gut voran. Wir kampierten in einer Höhle, deren rußgeschwärzte Decke davon zeugte, wie viele Männer vor uns dasselbe getan hatten. Charlie bereitete uns eine Mahlzeit aus Bohnen, Pökelfleisch und Zwieback, doch ich aß nur die Bohnen und steckte alles andere heimlich meinem Pferd Tub zu. Ich legte mich hungrig schlafen und wachte mitten in der Nacht auf. Da stand ein reiterloses Pferd schnaubend am Höhleneingang und tänzelte unruhig auf der Stelle. Ein Rappe mit schweißglänzendem Fell. Da das Pferd zitterte, trat ich näher und warf ihm meine Decke über den Rücken.
»Was ist los?«, fragte Charlie vom Feuer aus und stützte sich auf dem Ellbogen auf.
»Hier ist ein Pferd.«
»Und wo ist der Reiter?«
»Da ist kein Reiter, soweit ich sehe.«
»Weck mich, wenn er doch noch auftaucht.« Mit diesen Worten rollte er sich auf die andere Seite und war sofort wieder eingeschlafen.
Der Rappe hatte ein Stockmaß von etwas unter siebzig Zoll und bestand nur aus Muskelmasse. Er hatte weder Brandzeichen, noch war er beschlagen, aber seine Mähne war unverfilzt, und handscheu war er auch nicht. Ich reichte ihm einen Zwieback, aber er hatte wohl keinen Hunger und knabberte nur daran. »Was läufst du denn durch die dunkle Nacht, Fremder?«, fragte ich ihn und versuchte ihn zu den anderen Pferden zu führen, wo er an ihrer Wärme teilhaben konnte, doch er kehrte sofort zur Höhle zurück. »Du meinst, du willst lieber meine Decke behalten?« So rollte ich mich also neben dem Feuer zusammen, das ich vorher wieder angefacht hatte, nur ohne Decke war an Schlaf nicht zu denken. Ich vertrieb mir die Zeit bis zum Morgengrauen, indem ich alle verlorenen Schlachten der Vergangenheit noch einmal hervorkramte und in meiner Fantasie so abänderte, dass ich immer als Sieger daraus hervorging. Bei Sonnenaufgang war ich mit mir übereingekommen, das Pferd zu behalten. Dasselbe sagte ich Charlie, als ich ihm den Kaffee reichte, und er nickte. »Geh in Jacksonville mit ihm zum Hufschmied. Wer weiß, vielleicht kriegen wir ja noch was für Tub. Aber wahrscheinlich landet er beim Metzger. Das Geld kannst du in jedem Fall behalten, die Zeit mit Tub war hart genug, das muss ich zugeben. Also freu dich über den glücklichen Zufall. Kommt da ein Pferd entlangspaziert! Wie willst du ihn nennen? Wie wär’s mit Sohn des Tub ?«
Ich sagte: »Ich dachte eher, wir geben den Gaul an einen Farmer, der kann ihn noch gebrauchen und zahlt auch noch was dafür. Ein paar gute Jahre hat er noch.«
»Ach, mach ihm doch keine Hoffnungen.« Er wandte sich an Tub und sagte: »Na, was willst du? In den Kochtopf oder auf die grüne Weide, wo höchstens der zarte Popo eines Mägdeleins auf dir reitet?« Dann, zu mir gedreht, flüsterte er: »Kochtopf.«
Der Schwarze nahm Sattel und Zaumzeug ohne Widerstand an. Mein Pferd Tub dagegen ließ traurig den Kopf hängen, als ich lediglich ein Führseil um seinen Hals schlang, und ich konnte ihm nicht ins Auge sehen. Zwei Meilen weiter stießen wir dann auf den toten Indianer. »Da haben wir ja auch den Vorbesitzer«, sagte Charlie. Wir drehten ihn um. Sein steifer Körper war verrenkt, der Kopf nach hinten gebogen, der Mund weit offen – der Anblick eines im Tode erstarrten Schmerzes.
»Trotzdem komisch, dass ein Indianerpferd Sattel und Gebiss annimmt«, sagte ich.
»Wieso? Die Rothaut hat es einem weißen Mann geklaut«, erwiderte Charlie.
»Und warum hat es dann weder Brandzeichen noch Eisen?«
»Mysteriös, mysteriös«, sagte er. Dann deutete er auf den Indianer und sagte: »Frag ihn doch.«
Der Indianer wies keine Wunden auf, die seinen Tod hätten erklären können, aber er war extrem schwer und aufgedunsen, und so tippten
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