Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
hämmerte. Unwillkürlich griff ich nach einem Zwieback. »Und worüber war sie dann so aufgebracht?«
»Kannst du die Wahrheit ertragen? Ich fand ihre Leistung am Ende doch etwas schwach. Was sich natürlich in der Bezahlung niederschlug. Besser gesagt, in meiner Weigerung, überhaupt etwas zu zahlen. Darüber war sie beleidigt. Du musst aber wissen: Hätte ich etwas von deinen Gefühlen geahnt, hätte ich sie nicht angerührt. Doch ich war krank, wie du dich erinnerst, und menschlicher Wärme bedürftig. Es tut mir ja so leid, Eli, aber wenn du mich fragst, sie ist nichts als ein geldgeiles Luder.«
Nur zwei Bissen und der Zwieback war gegessen. Ich griff gleich nach dem nächsten. »Wo ist das Schweineschmalz?« Der Junge gab mir die Dose, und ich löffelte mit dem Zwieback einen dicken Klacks heraus.
»Bei den fünf Dollar habe ich noch nichts gesagt«, fuhr Charlie fort. »Was weg ist, ist weg. Aber ich kann nicht mit ansehen, wie du dich sinnlos zu Tode hungerst.« Mein Blut pochte in Erwartung der Fettladung, die gleich durch meine Adern schlämmen würde, doch mein Herz war wie erstorben angesichts des schlechten Charakters der Hotelfrau. Ich ließ mich nach hinten fallen, kaute und dachte und brütete über alles nach. »Soll ich dir noch ein Pökelscheibchen braten?«, erbot sich Charlie, um Frieden bemüht.
»Pökelscheibchen, Pökelrippchen, alles …«, sagte ich.
Der Junge zog eine Mundharmonika aus seinem Hemd und klopfte damit auf seine Handfläche.
»Und ich spiele das Essenslied.«
Der Junge sagte, er habe in einem nahen Waldstück ein Pferd versteckt und ob er sich uns bis zur kalifornischen Grenze anschließen könne. Charlie war dagegen, aber ich fand es nicht so schlimm und gab ihm fünf Minuten, um seine Habseligkeiten zusammenzuraffen. Er ging und kehrte mit seinem Pferd zurück, einer kleinen Schindmähre ohne Sattel und Zaumzeug, dafür mit offenen Stellen im Fell und Rippen, die man zählen konnte. Der Junge mochte unser vielsagendes Schweigen richtig gedeutet haben, denn er sagte vorsorglich: »Ich weiß, er sieht nicht danach aus, aber Lucky Paul kommt die steilen Hänge hoch wie kein anderer.«
Da fragte mich Charlie: »Willst du es ihm sagen oder soll ich?«
Ich entgegnete, ich würde es tun, und Charlie trat zurück und hielt sich raus. Ich wusste nur nicht, wo ich beginnen sollte, und sprach das Problem zunächst von der rein praktischen Seite an.
»Wo hast du denn deinen Sattel?«
»Ich habe eine Decke, und der Rest ist ja gut gepolstert.« Er schlug sich auf den Hintern.
»Und deine Trense?«
»Hat alles Onkel Jimmy mitgehen lassen, keine Ahnung, warum. Ist aber auch egal. Lucky Paul kennt den Weg auch so.«
»Hör mal, wir können nicht auf dich warten«, sagte ich.
Er gab dem armen Pferd einen Zwieback zu fressen. »Ach, ihr werdet schon sehen. Er ist gefüttert und ausgeruht, und er kann marschieren wie keiner.«
Seine Zuversicht war nicht einmal gespielt, was seine Wirkung auf mich nicht verfehlte. Ich hoffte ehrlich, Lucky Paul wurde diesem Anspruch gerecht, doch das war nicht der Fall. Er blieb sofort zurück. Die elende Krücke hatte nicht die Absicht, einen anstrengenden Pass in Angriff zu nehmen, und als ich mich später noch einmal umdrehte, sah ich, wie der Junge auf den Kopf und Hals des Tiers einschlug. Charlie wäre vor Lachen fast vom Pferd gefallen, und auch ich sah durchaus die komische Seite dieser Episode, bevor uns dann das Lachen verging, weil das Tempo immerhin so streng war, dass wir den schneebedeckten Gipfelpass binnen vier Stunden erreichten. Und eines muss man sagen: Trotz seines bösen Auges erlaubte sich mein Pferd Tub nicht einen Fehltritt, und zum ersten Mal in all der Zeit hatte ich den Eindruck, dass wir uns verstanden. Ich spürte irgendwie, dass er sich meinetwillen steigern und verbessern wollte. Was vielleicht nur Wunschdenken war, aber so denkt nun mal der Reitersmann, der nichts hat als sein Pferd.
Auf der anderen Seite war das Gelände viel angenehmer, und gegen Abend schon hatten wir die Schneegrenze hinter uns und schlugen unser Nachtlager auf. Wir schliefen bis weit in den folgenden Morgen. Gemächlich empfing uns Kalifornien, wo wir am Nachmittag in einen dichten Pinienwald einritten und auf ein lieblich mäanderndes Flüsschen stießen, das uns zu einer Rast einlud. Dies also war das Land, das Tausende ehedem verständige Männer und Frauen gegen Haus und Hof und Familie eingetauscht hatten, um nie mehr heimzukehren.
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