Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
nach dem Sinn meiner Unternehmung. Ich glaube, ich komme bald nach Hause. Ich habe zweihundert Dollar in Goldstaub. Das ist längst nicht so viel, wie ich gehofft hatte, aber es reicht fürs Erste. Wie geht es meinem lieben Schwesterlein? Sie vermisse ich übrigens gar nicht. Hat sie endlich diesen Fettsack geheiratet? Hoffentlich ist er mit ihr möglichst weit weggezogen. Dauernd habe ich den Geruch von Qualm in der Nase, und gelacht habe ich schon ewig nicht mehr. Liebe Mutter, ich glaube, lange kann es nicht mehr dauern, dann bin ich endlich weg von hier.
Dein dich liebender
Sohn
Rückblickend muss ich sagen, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn ich den Brief zur Post gebracht hätte. Aber wie gesagt, wenn mich der Wahnsinn packt, wird alles in mir schwarz und eng, und solche Gedanken liegen mir fern. Es stimmt mich traurig, wenn ich daran denke, wie dieses kopflose Skelett unter dem kalten Flussbett liegt. Allerdings bereue ich nicht, dass der Mann tot ist, ich hätte mich nur besser im Zaum halten müssen. Mein Jähzorn verstört mich nicht, er ist mir nur unendlich peinlich.
Jedenfalls, kaum hatten wir den Goldsucher unter der Erde, suchten Charlie und ich nach seinem Gold. Es war nicht schwer zu finden. Er hatte es zwanzig Meter neben seinem Lager vergraben und die Stelle mit einem kleinen Kruzifix aus Zweigen markiert. Es sah eigentlich gar nicht aus wie zweihundert Dollar, aber mit Goldstaub hatte ich keine Erfahrung, also woher sollte ich wissen, was er wert war? Wir machten fifty-fifty, und ich schüttete meinen Anteil in einen alten Tabaksbeutel, den ich zufällig in meiner Satteltasche gefunden hatte.
Charlie verbrachte die Nacht im Zelt des Goldsuchers, nur ich hielt es da nicht aus. Der Geruch des Toten und auch der Gestank des Pferdekadavers, dessen Fleisch auf einem Trockenstock hinter dem Zelt hing, das war einfach zu viel. Lieber schlief ich neben der qualmenden Feuerkuhle, als diesen anderen Geruch ständig in der Nase zu haben, und verbrachte also die Nacht unter den Sternen. Natürlich war es auch kalt, aber die Kälte besaß nichts mehr von dieser »Wintergrausamkeit« (wie ich die Leute einmal sagen hörte), die einem ins Mark dringt. Eine halbe Stunde nach der ersten Morgenröte kroch Charlie aus dem Zelt. Er sah um zehn Jahre gealtert raus und war so schmutzig wie ich. Er klopfte sich sogar auf die Brust, um zu demonstrieren, wie es staubte. Daher stand jetzt ein Bad auf dem Programm. Er nahm eine von den Goldpfannen des toten Diggers, füllte sie am Ufer mit Wasser und stellte sie anschließend aufs Feuer. Dann suchte er sich eine tiefe Stelle im Fluss, zog sich aus und sprang hinein, was wegen des kalten Wassers nicht ohne erschrockene Juchzer und lautes Prusten abging. Ich setzte mich ans Ufer und sah zu, wie er mit dem Wasser spritzte und dazu ein Liedchen sang. Das tat er nur, weil er mal nichts getrunken hatte und auch niemand da war, der ihn reizte und seine üble Seite zum Vorschein brachte. Der Anblick berührte mich, und seine unschuldige Unbeschwertheit, selten genug, machte mich ganz sentimental. Früher, in seiner Jugend, war Charlie oft so fröhlich gewesen, das heißt, bevor wir beim Kommodore angefangen hatten. Von da an nämlich wurde er hart und verschlossen. So gesehen hatte es in gewisser Weise auch etwas Trauriges, wie er jetzt in dem glitzernden Wasser herumtollte, und ringsum nichts als schneebedeckte Berge. Ich glaube, er kehrte in diesem Moment – kurz – in sein früheres Ich zurück, wo er aber nicht bleiben konnte. Schon bald würde er in seine jetzige Inkarnation zurückkehren. Er rannte dann aus dem Wasser und stellte sich nackt vors Feuer. Seine Geschlechtsteile waren zusammengeschrumpelt, und er machte noch den Witz, dass er beim Schwimmen immer zum kleinen Stift würde. Schließlich nahm er die Goldpfanne vom Feuer und schüttete sich das warme Wasser über den Kopf, was neue Lustschreie auslöste.
Nach dem Frühstück nutzte ich die Gunst der Stunde, um ihn einmal mehr von meiner Zahnbürste zu überzeugen. »So machst du es richtig«, sagte ich. »Immer rauf und runter. Und die Zunge nicht vergessen, sie hat es ebenfalls nötig.« Den Minzgeschmack fand auch er beeindruckend, und als er mir Bürste und Zahnpulver zurückgab, sagte er anerkennend: »Alles was recht ist, ein phänomenales Gefühl.«
»Sag ich doch.«
»Als hätte dir jemand den Kopf von innen gewaschen.«
»Sobald wir in San Francisco sind, kaufen wir dir auch eine.«
»Das
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