Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Wir nahmen die Szenerie in uns auf – und sagten nichts. Aber irgendwann konnte Charlie nicht anders. Er stieg ab, hockte sich ans Ufer und griff mit der Hand in den nassen Sand.
Ich war es dann, der das Zelt entdeckte. Es lag eine Viertelmeile weiter nördlich am anderen Ufer. Vor dem Eingang ein einsamer, verdreckter Bärtiger, der uns misstrauisch beobachtete. Ich hob die Hand zum Gruß, doch das Gesicht ging gleich in Deckung. »Ich glaube, ich habe gerade einen echten Goldsucher gesehen«, sagte ich.
»Meinst du, der findet hier was?«
»Hier oben wohl eher nicht. Aber warum fragen wir ihn nicht einfach?«
Charlie warf den Sand ins Wasser zurück. »Ich sag dir was, Bruderherz. Hier ist gar nichts, nicht ein Körnchen.«
»Aber bist du nicht neugierig?«
»Von mir aus frag ihn. Wenn du meinst, dass es was bringt. Ich für mein Teil widme mich lieber meiner Toilette. Nicht jede Attraktion am Wegesrand verdient Zeit und Aufmerksamkeit.«
Charlie ging in den Wald, und ich ritt stromaufwärts und kündigte schon von weitem mein Kommen an, doch der Bärtige war wie vom Erdboden verschluckt. Allerdings sah ich vor dem Zelt ein Paar Stiefel und ein kleines Feuer in einer Feuerkuhle. Daneben ein Sattel, aber kein Pferd. Noch einmal machte ich mich bemerkbar, wiederum ohne eine Reaktion zu erhalten. Hatte es der Mann vorgezogen, lieber barfuß in den Wald zu rennen, als sein Wissen um ungehobene Schätze mit irgendjemandem zu teilen? Bei genauerem Hinsehen erschien mir dies wenig wahrscheinlich, zu ärmlich wirkte sein Camp. Nein, hier war ein Mann, der zwar nach Gold gierte, jedoch nicht den Mut besaß, sich in das Wespennest zu werfen, das Kalifornien damals war. Er würde nichts finden, würde hungern und mit seinem Schicksal hadern und am Ende sterben und verderben. Ich sah bereits, wie die Raben sich über seinen nackten Leichnam hermachten. Laut sagte ich: »Es war an einem dieser kalten Morgen, die nur ein bisschen kälter sind als sonst …«
Plötzlich vernahm ich hinter mir das Knacken eines gespannten Hahns, und eine Stimme sagte: »Was ist mit diesem kalten Morgen?« Ich hob meine Hände, und der Goldsucher schüttete sich aus vor Lachen, so sehr genoss er seine Überlegenheit.
»Der Trick ist der Tunnel. Ein Tunnel unter dem Fluss«, sagte er. »Aber damit habt ihr nicht gerechnet, oder?« Er stieß mir den Lauf schmerzhaft in den Schenkel, und ich drehte mich langsam nach ihm um. »He, guck mich an, oder ich blase dir die Fresse weg, du Bastard«, sagte er.
»Dazu besteht kein Grund«, sagte ich. »Ich führe nichts Böses im Schilde.«
Wieder bekam ich den Lauf in den Schenkel. »Aber vielleicht ich, schon mal daran gedacht?« Er lachte, doch mit einer Fistelstimme, die zugleich unendlich traurig war, sodass ich dachte: Er ist wahnsinnig oder steht zumindest kurz davor. Nur widerwillig gestand ich mir ein, dass Charlie recht gehabt hatte, als er sagte, wir sollten den Mann in Ruhe lassen. »Du bist Jäger, habe ich recht?«, sagte der Mann. »Ihr sucht nach der roten Bärin.«
»Ich weiß nichts von einer roten Bärin«, sagte ich.
»Hier irgendwo treibt eine rote Bärin ihr Unwesen. Mayfield hat einhundert Dollar auf sie ausgesetzt, und jetzt will sich natürlich jeder das Fell holen. Hab sie gestern Morgen noch gesehen, zwei Meilen nördlich von hier. Hab sogar auf sie geschossen, aber das Vieh war zu weit weg.«
»Das alles interessiert mich nicht, und ich kenne auch keinen Mayfield oder wie immer er heißt.«
Wieder stieß er mir den Lauf ins Bein. »Aber du warst doch eben noch mit ihm zusammen. Das war er doch, Mayfield? Ich habe gesehen, wie er meinen Sand untersuchte.«
»Das war nur mein Bruder Charlie. Wir kommen aus dem Oregon-Territorium und wollen nach Süden. Wir waren vorher noch nie hier und kennen auch niemanden in dieser Gegend.«
»Mayfield ist der große Boss hier. Wann immer ich in der Stadt bin, um Lebensmittel zu kaufen, kommen seine Männer und zerstören mein Lager. Bist du sicher, es war nicht Mayfield? Ich meinte nämlich seine dumme, lachende Fresse zu erkennen.«
»Das passt auch auf Charlie. Er hat sich in den Wald verzogen, um Toilette zu machen. Wir sind auch Goldwäscher, aber wir wollen in den Süden.«
Ich hörte, wie er um mein Pferd Tub herumging, dann war er wieder da. »Und wo ist deine Ausrüstung?«, fragte er. »Womit willst du denn Gold waschen, wenn du im Süden bist?«
»Die Ausrüstung kaufen wir in Sacramento.«
»Kann man machen. Wenn
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