Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
anzusehen und damit meine abnorm hohe Schmerzgrenze zu demonstrieren. Dennoch, sagte ich mir, sollte ich besser keinen Branntwein mehr trinken. Die verkohlten Tabakreste steckte ich in meine Tasche. Nichts davon brachte mich ihr näher, sie blieb so distanziert wie vorher. Ich sagte deshalb: »Ich werde nicht schlau aus Ihnen, Ma’am.«
»Und das bedeutet?«
»Es bedeutet, ich weiß nicht, ob Sie glücklich oder traurig oder nicht ganz bei Trost sind.«
»Ich bin krank.«
»Was haben Sie denn?«
Sie holte ein blutiges Taschentuch hervor und präsentierte es mir mit geradezu gespenstischer Heiterkeit. Diese konnte ich nun überhaupt nicht teilen, war vielmehr höchst erschrocken über den Anblick der blutigen Flecken. In völliger Gedankenlosigkeit fragte ich sie, ob sie denn stürbe, was sie zu bedrücken schien und weswegen ich mich schnell entschuldigte. »Nein, sagen Sie nichts, ich habe zu viel getrunken. Können Sie mir verzeihen? Bitte, sagen Sie ja.«
Das tat sie zwar nicht, doch verübelte sie mir offenbar meine Indiskretion nicht weiter. Weshalb ich mehr oder weniger unbekümmert fragte: »Darf ich fragen, wohin Sie jetzt gehen?«
»Nirgendwohin, außer zum Hotel. Außer dem Hotel gibt es doch nichts.«
»Ich frage deshalb«, sagte ich mit einem Schnalzen, »weil ich den Eindruck hatte, dass Sie hier auf mich gewartet hätten.«
»Das bestimmt nicht.«
»Vielleicht doch.«
Ich hörte ein Knarren vom Korridor her und sah einen der Fallensteller auf der Treppe, die nach unten führte. Er hatte uns belauscht und war über das Gehörte anscheinend nicht erfreut. »Du gehst jetzt besser auf dein Zimmer«, sagte er zu ihr.
»Seit wann hast du hier etwas zu sagen?«, fragte sie.
»Ich arbeite zufällig für den Hausherrn.«
»Ich etwas nicht? Ich unterhalte mich lediglich mit einem seiner Gäste.«
»Du handelst dir nur wieder Scherereien ein.«
»Scherereien mit wem?«
»Du weißt, mit wem. Ihm.«
»He, du da!«, sagte ich zu dem Fallensteller.
»Was willst du?«
»Hau ab hier.«
Der Mann zögerte, griff sich in den schwarzen Bart und kratzte sich an der Wange. Dann drehte er sich um und verschwand wieder nach unten, worauf die Frau sagte: »Er läuft mir auch im Hotel ständig nach. Nachts muss ich immer mein Zimmer abschließen.«
»Also ist Mayfield Ihr Mann, ist es das?«
Sie wies in Richtung des Herrenzimmers, wo die Huren schwärmten. »Er hat nicht nur eine Frau.« Und als sie meine bekümmerte Miene sah, fügte sie noch hinzu: »Im eigentlichen Sinn liiert sind wir aber nicht. Früher vielleicht, gewissermaßen.«
Hinter der Tür hörte ich das laute Gelächter meines Bruders. Mein Bruder hat eine ausgesprochen unintelligente Lache, es ähnelt eher einem tierischen Gebrüll. »Diese Stadt«, sagte ich, »zeigt sich nicht gerade von der besten Seite.«
Die Frau kam einen Schritt näher. Wollte sie sich mir an den Hals werfen? Nein, sie wollte mir nur ein Geheimnis anvertrauen. »Ich habe gehört, was die Fallensteller über Sie und Ihren Bruder geredet haben. Sie schmieden irgendeinen Plan. Was genau sie vorhaben, konnte ich nicht verstehen, aber normalerweise sind sie um diese Zeit alle betrunken, nur heute nicht. Sehen Sie sich also vor.«
»Ich habe zu viel Branntwein getrunken, um mich vorzusehen.«
»Dann gehen Sie besser wieder auf Ihr fröhliches Beisammensein. Halten Sie sich immer in Mayfields Nähe auf, das ist wohl das Beste.«
»Nein, dahin will ich nicht zurück. Ich will nur schlafen.«
»Wo hat Mayfield Sie einquartiert?«
»Noch nirgends, soweit ich weiß.«
»Dann suche ich Ihnen einen sicheren Ort«, sagte sie und führte mich bis ans Ende des Korridors, wo sie eine Tür aufschloss. Sie tat dies äußerst vorsichtig, da sie keinen Lärm machen wollte, und auch ich bewegte mich von nun an so lautlos wie sie. Wir traten in ein dunkles Zimmer, und sie schloss die Tür. Sie schob mich an die Wand und sagte, ich solle bloß leise sein, während sie sich auf die Suche nach einer Kerze machte. Ich konnte sie nicht sehen, nur hören, wie sie sich durchs Zimmer bewegte und in Schubladen und auf dem Tisch nach dem Gesuchten tastete. Ich muss zugeben, ihre Nähe in der Dunkelheit hatte etwas so Intimes (zumal ich ja nie wusste, was sie gerade tat), dass ich beschloss, dass ich sie mochte. Außerdem war ich sehr geschmeichelt über die Mühe, die sie sich mit mir gab, und dachte bei mir: Was braucht es eigentlich, um mich zufriedenzustellen? Nicht viel. Nicht mehr als
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