Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
nichts auszusetzen.«
»Oder liegt es vielleicht am Brandy, dass du so den Mund verziehst?«
»Der Brandy ist gut.«
»Oder ist dir die Luft zu verqualmt? Soll ich das Fenster aufmachen? Brauchst du einen Fächer?«
»Nein, alles ist wunderbar.«
»Dann ist es dort, wo du herkommst, so üblich, den Gastgeber schief anzusehen?« An Charlie gewandt, sagte er: »Ich muss gestehen, ich war nur ein einziges Mal in Oregon City, aber die Stadt sagte mir nichts.«
»Was wollten Sie denn in Oregon City?«, fragte Charlie.
»Ich habe keine Ahnung mehr. In jungen Jahren macht man mal dies, mal das und hat überhaupt keinen Plan. Aber Oregon City war keine Stadt für mich. Am Ende hat mich sogar ein Kerl mit Hinkebein ausgeraubt. Ihr seid nicht zufällig gehbehindert?«
»Sie haben uns doch hereinkommen sehen.«
»Ich kann nicht auf alles achten.« Halbernst fragte er: »Hättet ihr was dagegen aufzustehen und vor mir die Hacken zusammenzuschlagen?«
»Dagegen hätte ich in der Tat etwas«, erwiderte ich.
»Wir sind beide gut zu Fuß«, versicherte Charlie.
»Also wollt ihr nicht?«
»Ich würde lieber sterben als vor Ihnen Männchen zu machen.«
»Ist er immer so unerfreulich?«, sagte Mayfield zu Charlie.
»Nein, wir wechseln uns ab«, sagte Charlie.
»Trotzdem, du bist mir lieber.«
»Was hat Ihnen Hinkebein denn geraubt?«, fragte Charlie.
»Meine Geldbörse mit fünfundzwanzig Dollar und einen Patterson-Colt mit Elfenbeingriff, den man mit Geld nicht bezahlen kann. Es war in einem Saloon namens Schweinekönig. Kennt ihr den vielleicht? Ich würde mich nicht wundern, wenn er nicht mehr existiert, so schnell, wie heute Städte entstehen und wieder zugrunde gehen.«
»Es gibt den Saloon immer noch«, sagte Charlie.
»Der Mann, der mich ausgeraubt hat, hatte ein Messer mit krummer Klinge, fast wie eine kleine Sichel.«
»Ach, Sie meinen Robinson«, sagte Charlie.
Mayfield fuhr hoch. »Wie, du kennst den Mann? Bist du sicher?«
»Na klar: James Robinson.« Er nickte zur Bekräftigung.
»Warum sagst du das?«, fragte ich Charlie, doch Charlie kniff mir ins Bein. Derweil hantierte Mayfield mit dem Tintenfass, um sich den Namen zu notieren.
»Lebt er immer noch in Oregon City?«, fragte er aufgeregt.
»Das tut er. Und er hat sogar noch das krumme Messer aus dem Überfall. Das Hinkebein hatte er übrigens nur vorübergehend, von einer Verletzung, die inzwischen ausgeheilt ist. Sie finden ihn nach wie vor im Schweinekönig, wo er Witze reißt, die keiner lustig findet und die in aller Regel auch völlig hirnrissig sind.«
»Ich habe in den letzten Jahren viel über diesen Mann nachgedacht«, sagte Mayfield und steckte den Federkiel in den Halter zurück. »Ich will, dass man ihm mit diesem Messer den Bauch aufschlitzt und ihn an seinen eigenen Gedärmen aufhängt.« Ich fand diesen dramatischen Racheschwur ziemlich lächerlich, denn menschliche Eingeweide tragen nicht einmal das Gewicht eines Kindes, geschweige denn eines Erwachsenen. Daraufhin entschuldigte sich Mayfield, denn er musste austreten. In den folgenden dreißig Sekunden entspann sich zwischen meinem Bruder und mir im Flüsterton dieser Wortwechsel:
»Musstest du Robinson verraten?«
»Robinson ist doch vor einem Jahr an Typhus gestorben.«
»Das höre ich zum ersten Mal.«
»Ist aber so. Ich habe beim letzten Mal sogar seine Witwe besucht. Wusstest du, dass sie ein künstliches Gebiss hat? Mir fiel die Kinnlade runter, als sie das Ding ins Wasserglas legte.« Eine Hure strich an ihm vorbei und neckte ihn am Kinn. Er sah ihr grinsend nach und fragte sichtlich abgelenkt: »Sag mal, was hältst du davon, wenn wir heute Nacht hierblieben?«
»Ich bin fürs Weiterreiten. Sonst bist du morgen wieder hinüber, und wir verlieren einen weiteren Tag. Außerdem kann ich den Ärger mit Mayfield schon riechen.«
»Er kriegt eher Ärger mit uns als wir mit ihm.«
»Egal. Gehen wir jedem Ärger aus dem Weg. Ich bin für Weiterreiten.«
Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Bruderherz, aber mein Schniephahn zieht heute Nacht in die Schlacht.«
Mayfield kam vom Wasserklosett zurück und knöpfte sich die Hose zu. »Also ich muss schon sagen: Wer hätte gedacht, dass die berühmten Sisters-Brüder einmal solche Geheimnisse ausplaudern?«
Es war wohl nicht zu vermeiden. Die Huren schlichen um uns herum wie die Katzen.
Charlie hatte drei Gläser Branntwein intus und schon die nur allzu bekannte tiefrote Gesichtsfarbe, welche sein Versinken im Alkohol
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