Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
das eigentlich.
Sie entzündete eine Kerze und zog die Vorhänge zurück, um das Mondlicht hereinzulassen. Wir befanden uns in einem gewöhnlichen Hotelzimmer, nur dass es hier noch staubiger und muffiger war als in einem gewöhnlichen Hotelzimmer. Sie erklärte mir dem Grund: »Das Zimmer steht immer leer, weil der Schlüssel einmal verloren ging und Mayfield zu faul ist, den Schlosser kommen zu lassen. Nur ging der Schlüssel gar nicht verloren, ich habe ihn genommen. Seitdem komme ich hierher, wenn ich allein sein will.«
Höflich nickend sagte ich: »Abgesehen davon ist es ziemlich offensichtlich, dass Sie auch in mich verliebt sind.«
»Nein«, sagte sie, errötend. »Nein, das nicht.«
»Aber ich sehe so etwas. Sie sind sogar unsterblich verliebt. Eine Liebe, gegen die wir machtlos sind. Nur brauchen Sie sich deswegen nicht zu schämen, es passiert nicht zum ersten Mal. Es passiert sogar ständig. Sobald ich einer Frau begegne, ist es um sie geschehen. Diese Augen, die sehnsüchtigen, schmachtenden Blicke, sie lügen doch nicht.« Ich ließ mich auf das schmale Bett fallen und wälzte und räkelte mich so lasziv es ging, was die Frau zu belustigen schien – allerdings nicht so sehr, dass sie geblieben wäre. Sie ging zur Tür. Ich räkelte mich noch ein bisschen, doch das Bett gab nur jammernde Töne von sich, und schließlich sagte sie: »Lassen Sie diesen Unsinn, das macht nur unnötigen Lärm. Die Trapper wohnen direkt unter uns.«
»Ach, hören Sie doch auf mit diesen Waldschraten, die sind mir doch völlig egal. Was können sie mir schon tun?«
»Aber es sind Killer«, flüsterte sie.
»Na und? Das bin ich auch«, entgegnete ich.
»Wie meinen Sie das?«
Irgendetwas an ihrer Miene, ihrer Blässe, ihrer Unsicherheit machten mich in diesem Augenblick zum Tier. Ich sprang auf und brüllte: »Was das heißen soll? Wir sind doch alle hier auf Erden vom Tod umfangen!« Ich habe keine Ahnung, woher plötzlich diese Worte kamen, doch sie befeuerten mich geradezu. Ich nahm meine Pistole und ballerte durch den Fußboden. Der Widerhall war enorm, und innerhalb von Sekunden füllte sich der Raum mit Pulverdampf. In Panik verließ mich die Frau, sie stürzte aus dem Zimmer und verrammelte von außen die Tür. Ich sogleich hinterher und wieder aufgeschlossen. Ich riss die Tür sogar weit auf. Sollten sie doch kommen, ich war bereit. Dann setzte ich mich auf das malträtierte Bett und richtete die Läufe meiner beiden Pistolen auf die offene Tür. Sollten sie doch kommen. Mein Herz hämmerte, denn ich erwartete nichts weniger als einen Showdown. Nach zehn Minuten vergeblichen Wartens hingegen wurden mir die Augen schwer. Entweder die Fallensteller hatten den Schuss nicht gehört oder sie waren nicht in ihrem Zimmer oder es war gar nicht ihr Zimmer. Ich erklärte das Abenteuer für beendet, putzte mir die Zähne und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen schien die Sonne, und durch das offene Fenster strich kühle Luft über mein Gesicht. Ich lag voll angekleidet im Bett, und die Tür war abermals abgeschlossen. War die Buchhalterin des Nachts zurückgekehrt, um mich zu beschützen? Dann hörte ich den Schlüssel im Schloss, und sie trat ein und setzte sich mit einem Lächeln auf die Bettkante. Ich erkundigte mich nach Charlie, und sie sagte, es gehe ihm gut. Dann lud sie mich zu einem Spaziergang ein. Trotz ihres angegriffenen Zustands war sie frisch gepudert und roch wirklich gut. Sie war auch bei Tageslicht eine echte Schönheit, und was noch besser war, sie war offenbar gerne bei mir. Ich kraxelte aus dem Bett und ging ans Fenster, sah hinaus auf die Straße. Männer und Frauen liefen dort unten vorbei, grüßten sich, entweder mit einer Verbeugung oder mit der Hand am Hut. Normalität. Die Frau räusperte sich und sagte: »Gestern Abend sagten Sie, Sie würden nicht schlau aus mir. Jetzt geht es mir mit Ihnen so.«
»Wieso?«
»Vielleicht weil ich wissen will, warum Sie in geschlossenen Räumen Ihre Pistole abfeuern.«
»Das ist mir furchtbar peinlich, glauben Sie mir«, sagte ich. »Und es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
»Warum tun Sie es dann?«
Ich dachte: Ich tue es doch nur, wenn es mir schlecht geht und ich zu viel getrunken habe. Dann will ein Teil von mir nur noch sterben. Was gewissermaßen mein blutiges Taschentuch war.«
»Weswegen ging es Ihnen schlecht?«
»Weswegen geht es einem schlecht? Es ist einfach so. Es kriecht von Zeit zu Zeit in einen hinein.«
»Aber kurz zuvor
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