Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
falsche Tapferkeit ließ bald nach, und Tränen rollten über sein Gesicht. »Ach, wer kann so viel Glück schon halten, verdammt?« Und wischte sich die Tränen ab, um aus ganzem Herzen, wiewohl mit halber Lautstärke zu fluchen. »Ich habe kein Glück mehr, so viel steht schon mal fest.« Insgesamt bot er aber ein jämmerliches Bild mit seiner kleinen Geldbörse, die er wie eine tote Maus an der Raffschnur hielt. Wir folgten ihm nach draußen, wo er sich reisefertig machte und seinem Pferd die Satteltasche auflegte. Ich hatte den Eindruck, er wollte noch eine Rede halten, aber die rechten Worte stellten sich wohl nicht ein. Vielleicht betrachtete er uns auch nicht als das passende Publikum, jedenfalls hielt er am Ende den Mund. Er bestieg sein Pferd und ritt nach einem knappen Nicken davon. Seine Augen sprachen jedoch eine deutliche Sprache. Sie sagten: Ich mag euch Kerle nicht. Wir gingen in den Keller zurück, zählten den Inhalt und teilten die Banknoten auf, insgesamt achtzehnhundert Dollar. Das Gold war zu schwer, deshalb versteckten wir es hinter einem fettbäuchigen Schwedenofen, der in der Ecke auf einer Hartholzpalette stand. Da wir dafür das eiserne Ofenrohr abmontieren mussten, war es schmutzige Arbeit, und der Ruß schneite nur so auf uns herab. Aber es sollte sich lohnen. Als wir fertig waren, war ich sicher, dass niemand unseren Schatz finden würde, denn wer sucht schon im Keller, in der hintersten Ecke? Grob geschätzt waren wir nun um fünfzehntausend Dollar reicher, allein mein Anteil verdreifachte mit einem Schlag mein Vermögen. Trotzdem war das vorherrschende Gefühl, soweit es mich betraf, als wir aus dem muffigen Keller wieder ans Tageslicht stiegen, durchaus geteilt: Zum einen war ich glücklich (über die glückliche Fügung) und zum anderen weniger glücklich. Man könnte sogar sagen, dass ich eine Leere empfand, weil ich mich über meinen Reichtum nicht freuen konnte. Außerdem hatte ich Angst, dass mein Glück nicht echt, sondern erzwungen und darum falsch sein könnte. Am Ende dachte ich: Vielleicht soll der Mensch nie ganz glücklich sein. Vielleicht gibt es so etwas auf unserer Welt gar nicht.
Als wir schließlich noch einmal durchs Hotel schlenderten, wurde Mayfields würdeloser Abgang sowie das Verschwinden der Fallensteller unter den Huren bereits intensiv diskutiert. Ich sah nach Charlies Hure, deren Gesichtsfarbe sich zumindest etwas entgrünt hatte, und erkundigte mich nach der Buchhalterin.
»Sie haben sie zum Arzt gebracht.«
»Geht es ihr gut?«
»Ich denke ja. Sie muss oft zum Arzt.«
Ich drückte ihr hundert Dollar in die Hand. »Gib ihr das, wenn sie wiederkommt.«
Sie starrte auf das Geld. »Heiliger Strohsack!«
»Ich bin in zwei Wochen wieder da. Sollte ich feststellen, dass sie das Geld nicht bekommen hat, wird jemand dafür bezahlen, hast du mich verstanden?«
»Mister, ich war nur rein zufällig im Flur.«
Ich zeigte ihr die Münze mit dem Doppeladler: »Die ist für dich.«
Sie sackte das Geldstück ein und schaute in die Richtung, in die Charlie verschwunden war. »Ich nehme nicht an, dass dein Bruder mir auch einhundert Dollar hinterlassen will?«
»Nicht sehr wahrscheinlich, nein.«
»Du bist eher der mit der Romantik im Blut?«
»Weiß nicht. Unser Blut ist eigentlich dasselbe. Nur sind wir trotzdem anders.«
Ich drehte mich um und ging weg. Nach ein paar Schritten rief sie mir hinterher: »Verrätst du mir, was sie dafür tun musste?«
Ich blieb stehen, um nachzudenken. Dann sagte ich ihr: »Sie war hübsch. Und sie war freundlich zu mir.«
Fraglich, ob sie das hinter ihrem armen, grünen Hurengesichtchen wirklich verstand. Sie ging jedenfalls wieder auf ihr Zimmer, knallte die Tür zu und gab kurz darauf zwei Schreie von sich.
Wir verließen die Stadt und folgten weiter dem Flusslauf. Wir lagen weit hinter unserem Zeitplan zurück, wollten uns darüber aber nicht den Kopf zerbrechen. Sollte Morris doch warten. Ich hing weiter den Geschehnissen der vergangenen sechsunddreißig Stunden nach, da hörte ich Charlie lachen. Ich und mein Pferd Tub ritten vorn, und ohne mich umzudrehen, fragte ich Charlie, was denn so witzig sei.
»Ich dachte nur gerade daran, wie Vater gestorben ist.«
»Na und?«
»Du und ich, wir waren gerade auf der Wiese hinterm Haus und aßen unser Mittagessen. Auf einmal hörten wir Vater und Mutter streiten. Weißt du noch, was wir damals gegessen haben?«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte ich.
»Äpfel. Wir aßen
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