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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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die Bar setzen. Wenn Sie mit ihr auf Zimmer gehen, rechnen Sie mit mindestens hundert Dollar.«
    »Welcher vernünftige Mensch zahlt so viel?«, fragte ich.
    »Oh, die Männer stehen sogar Schlange. Die Huren arbeiten in Fünfzehnstundenschichten und verdienen angeblich Tausende am Tag. Sie müssen wissen, meine Herren, der alte Grundsatz von Sparsamkeit und Vernunft wurde hier längst über Bord geworfen. Ein Beispiel: Nach der letzten Rückkehr von meinem Claim konnte ich einen hübschen Sack Goldstaub mein eigen nennen, und obgleich ich sehr wohl wusste, dass es Wahnsinn war, setzte ich mich in das teuerste Restaurant, das ich finden konnte. Drei Monate lang hatte ich auf kalter Erde geschlafen und mich von Forelle und Schweineschmalz ernährt. Von der schweren Arbeit tat mir der Rücken weh, und ich sehnte mich nach einem bisschen Wärme und Luxus, einem Hauch von Plüsch und Samt, wenn Sie so wollen. Also genehmigte ich mir ein ordentliches, nicht einmal sonderlich schmackhaftes Stück Fleisch mit Bratkartoffeln, dazu ein Bier und zum Nachtisch ein Eis, mehr nicht. In meiner Heimatstadt hätte mich dieses Mahl vielleicht einen halben Dollar gekostet, hier waren es dreißig.«
    Charlie war empört. »Nur ein Vollidiot zahlt freiwillig solche Preise.«
    »Das stimme ich Ihnen zu«, sagte der Mann. »Nur ein Vollidiot tut so etwas. Deshalb willkommen in der Stadt der Irren und Idioten. Gleichwohl hoffe ich natürlich, dass Ihr Übertritt in die Idiotie angenehm verlaufen wird.«
    Eine halbe Meile das Ufer hinunter fiel mir eine gigantische Seilzugmaschine auf. Diese diente soeben dazu, einen Dampfsegler aufs Trockene zu ziehen. Ein Mann im schwarzen Anzug, auf dem Kopf ein breitkrempiger schwarzer Hut, schlug mit der Peitsche auf das Pferdegespann ein, das die Winsch drehte. Ich fragte den Hühnermann nach dem Sinn der Operation, und er sagte: »Hier sehen Sie einen, der Smiths Ehrgeiz hat – und darüber hinaus einen Funken Verstand. Er schnappt sich das verlassene Schiff und bockt es irgendwo an Land auf. Land, das er klugerweise vorher gekauft hat. Dann vermietet er die Kabinen an Kleinhändler oder Wohnungssuchende und verdient sich dumm und dämlich daran. Was lernen wir daraus? Vielleicht ist das ganz große Geld gar nicht mit Gold zu machen, sondern mit denen, die danach suchen. Wer Gold aus der Erde holen will, muss so viel haben: nicht nur Mut und Glück, sondern auch die Arbeitsmoral eines Packesels. Doch das ist gar nicht nötig, wenn ihr euch an die haltet, die in diese Stadt drängen, um dort ihr letztes Körnchen Gold so schnell wie möglich auszugeben.«
    »Warum eröffnen Sie nicht selber ein Geschäft?«, fragte ich.
    Die Frage überraschte ihn, und so antwortete er nicht gleich. Aber dann schüttelte er den Kopf und sagte mit traurigen Augen: »Nein, tut mir leid, meine Rolle in diesem Spiel ist eine andere.«
    Ich wollte fragen, welche, als der Wind ein gedämpftes Krachen und Knirschen zu uns trug, gefolgt von einem sirrenden Geräusch. Ein Tau an der Seilzugmaschine war gerissen, und ich sah den Mann neben einem Pferd stehen, das jetzt auf der Seite lag. Aus der Tatsache, dass er nicht auf das Pferd einschlug, ließ sich schließen, dass das Pferd entweder schon tot war oder gerade verendete.
    »Das sind wüste Zeiten, meinen Sie nicht?«, sagte ich zu dem Mann.
    »Wüste Zeiten, ja. Und diese Zeiten, fürchte ich, haben mich schlechter gemacht, als ich bin. Mit Sicherheit haben sie andere schlechter gemacht.« Er nickte, mehr für sich selbst. »Und sie haben mich ruiniert.«
    »Wie das?«
    »Wie anders?«, sinnierte er.
    »Können Sie nicht nach Hause zurück und noch einmal von vorn anfangen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Gestern sah ich, wie jemand vom Dach des Orient Hotel sprang. Er sprang lachend in die Tiefe. Er lachte, bis er unten aufschlug – wo er sozusagen platzte vor Lachen. Angeblich soll er betrunken gewesen sein, aber das stimmt nicht. Ich habe ihn kurz vorher gesehen, da war er nüchtern. Wissen Sie, in dieser Stadt herrscht ein eigenartiges Lebensgefühl. Und wer sich dagegen nicht wehrt, dem vergiftet sie den innersten Kern. Es ist der Wahnsinn der unbegrenzten Möglichkeiten, sage ich immer. Der Mann, der vom Dach gesprungen ist, verkörperte nur das kollektive Lebensgefühl von San Francisco. Er nahm es ernst, das mit den unbegrenzten Möglichkeiten. Ich hätte beinahe Beifall geklatscht.«
    »Aber was wollen Sie mir jetzt damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, dass ich

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