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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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dachte ich. Der kluge Mann sollte stets bei sich sein, selbst da, wo jeder andere außer sich ist. Der Fallensteller mit dem schwarzen Bart atmete übrigens noch, und ich ging zu ihm hin. Er wirkte verdutzt, und seine Augen irrten hin und her.
    »Was war das für ein Lärm?«, fragte er.
    »Das war die Kugel, die in dich eingedrungen ist.«
    »Eine Kugel, wo?«
    »Die Kugel in deinem Kopf.«
    »Ich merke nichts. Und hören tue ich auch so gut wie nichts mehr. Wo sind die anderen?«
    »Sie liegen neben dir auf der Erde. Sie haben ebenfalls eine Kugel im Kopf.«
    »Ach wirklich? Und warum sagen sie dann nichts? Ich kann sie nicht hören.«
    »Natürlich nicht. Sie sind tot.«
    »Und ich bin nicht tot?«
    »Noch nicht.«
    »Chhhhh«, sagte er. Daraufhin fielen ihm die Augen zu, und sein Kopf lag still. Ich trat einen Schritt zurück. Da durchlief ihn ein Zittern, und die Augen gingen wieder auf. »Jim war derjenige, der euch ans Leder wollte, nicht ich.«
    »Okay.«
    »Er meint nämlich, weil er so groß ist, muss er auch große Taten vollbringen.«
    »Und jetzt ist er tot.«
    »Er hat den ganzen Abend von nichts anderem geredet. Dass sie Bücher über uns schreiben würden und was nicht alles. Was er nämlich gar nicht vertragen kann, ist, wie ihr euch über unsere Kleidung lustig gemacht habt.«
    »Das ist doch jetzt egal. Schließ die Augen.«
    »Hallo?«, sagte der Fallensteller. »Hallo?« Dabei sah er mich an, aber ich glaube nicht, dass er mich wirklich sah.
    »Mach die Augen zu. Es ist gut.«
    »Eigentlich wollte ich gar nicht mitmachen«, klagte er. »Aber Jim dachte, er kann euch kaltmachen und dass er dann überall davon erzählen kann.«
    »Mach die Augen zu und ruh dich aus«, sagte ich.
    »Chhhhh, chhhhh, chhhhh«, sagte er ein letztes Mal, und damit huschte das Leben aus ihm heraus, und er starb, und ich ging zurück zu meinem Pferd und meinem Sattel. Das Bis-drei-Zählen war ein alter Trick von uns und nichts, wofür wir uns schämten. Stolz waren wir allerdings auch nicht. Aber in einer ausweglosen Situation bleibt einem nichts anderes übrig, und es hat uns mehr als einmal schon das Leben gerettet.
    Charlie und ich waren reisefertig, als wir oben auf dem Heuboden das Scharren eines Stiefels hörten. Es war der Stallbursche, der nicht abgehauen war, sondern sich versteckt hatte, um nur ja nichts zu verpassen. Dass er dabei unseren Zähltrick gesehen hatte, war jetzt Pech. Wir stiegen also die Leiter hoch, um ihn aufzustöbern. Das dauerte eine Weile wegen der vielen Heuballen, hinter denen man sich verstecken konnte. »Jetzt komm schon raus, Junge«, rief ich. »Wir sind hier fertig. Wir tun dir auch nichts, versprochen.« Kurz darauf raschelte etwas in der Ecke. Ich schoss sofort darauf, doch die Heuballen schluckten die Kugel. Dann war wieder Stille, dann abermals dieses Rascheln. Charlie sagte: »Junge, jetzt mach schon. Wir töten dich in jedem Fall, du hast keine Chance zu entkommen. Also sei vernünftig.«
    »Buu-huuu-huuuu«, heulte der Stallbursche.
    »Hör mal, du vergeudest hier nur unsere Zeit. Und die haben wir nicht.«
    »Buu-huuu-huuuu!«

Als wir den Stallburschen erledigt hatten, statteten wir Mayfield einen Besuch ab. Es war wohl ein solcher Schock für ihn, dass ausgerechnet wir an seine Tür klopften, dass er sich erst nicht imstande sah, irgendetwas zu sagen oder zu tun. Ich schob ihn zurück, und er ging rückwärts, bis er aufs Sofa plumpste, wo er seines weiteren Schicksals harrte. Zu Charlie sagte ich: »Er ist so anders als gestern Abend.«
    »Das stimmt. Aber diesmal haben wir den wahren Mayfield vor uns«, entgegnete Charlie. »Ich habe es von Anfang an gewusst.« An Mayfield gewandt, sagte er: »Wie dir wahrscheinlich schon aufgefallen ist, haben wir deinen Helfern das Handwerk gelegt, einschließlich des Stallburschen, was nicht geplant, aber auch nicht zu vermeiden war. Ich versteige mich einmal zu der Behauptung, dass dies alles deine Schuld ist, denn wir brachten dir das rote Fell in gutem Glauben und haben mit seinem Verschwinden nichts zu schaffen. Summa summarum gehen der Tod von vier Männern und einem Jungen auf dein Konto, nicht unseres. Nun erwarte ich nicht, dass du mir in allen Punkten zustimmst, aber ich wollte dir den Sachverhalt zumindest zur Kenntnis bringen. Soweit alles klar?«
    Mayfield antwortete nicht. Sein Blick war auf einen bestimmten Punkt an der Wand fixiert. Da mich interessierte, was es war, sah ich ebenfalls hin. Aber da war: nichts. Ich sah

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