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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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ein, das bestenfalls lauwarm war. Das Bier dagegen war herrlich kalt, und ich trank das halbe Glas in einem Zug. Daraufhin fragte ich die Frau, was dieser eine Zug mich gerade gekostet habe. Sie betrachtete das Glas und gab eine grobe Schätzung ab: »Drei Dollar. Mit dem Essen zusammen siebzehn Dollar.« Mir schien, der Betrag sei sofort fällig. Charlie stand auf und gab ihr einen Doppeladler. Als sie in ihrer Tasche nach Wechselgeld kramte, wurde sie von Charlie davon abgehalten. Sie könne das Geld behalten, sagte er, es sei gewissermaßen unsere Wiedergutmachung für das unbefugte Betreten von Morris’ Zimmer. Sie behielt zwar das Geld, dankte jedoch nicht, hätte es am liebsten sogar ausgeschlagen, wie mir schien. Als Charlie ihr daraufhin einen zweiten Doppeladler vor die Nase hielt, verhärtete sich ihre Miene erst recht.
    »Was soll das?«, fragte sie.
    »Das ist für das Buch.«
    »Ich sagte doch schon, dass Sie es nicht haben können.«
    »Natürlich. Wir wollen es auch gar nicht haben. Behalten Sie das Buch, Ma’am. Wir wollen nur einen Blick hineinwerfen.«
    »Sie werden mit Sicherheit keinen Blick in das Buch werfen«, erklärte sie. Ihre geballten Hände waren ganz rot, und sie selbst war schwer beleidigt. Dann stürmte sie aus dem Zimmer, wohl um vor allen Angestellten des Hauses mit ihrem moralischen Sieg zu prahlen. Charlie und ich setzten uns erst einmal hin, um unser Mittagessen zu genießen. Ich bedauerte, was dieser Frau nun bevorstand. Dazu konnte aber Charlie, der meine kummervolle Miene sah, nur sagen: »Tja, es war ihre Entscheidung. Mehr als versuchen kann ich es nicht.« Was, wie ich zugeben musste, nichts als die Wahrheit war. Ansonsten war das Essen, wenn ich das noch erwähnen darf, mit Ausnahme des Preises nicht weiter erwähnenswert. Als die Frau kam, um das Geschirr abzuräumen, stand Charlie abermals auf. Die Frau trug den Kopf ziemlich hoch und stellte auch wieder diese dünkelhaft-herablassende Miene zur Schau, als sie sagte: »Nun?« Charlie antwortete nicht, sondern vollführte vor ihr einen kleinen Knicks – ehe er seine Faust in ihrem Magen versenkte. Der unerwartete Schlag sandte sie auf einen Stuhl, wo sie zusammenklappte und sich, sabbernd und nach Luft ringend, den Bauch hielt, in der Hoffnung, dadurch etwas von ihrer vormaligen Haltung zurückzugewinnen. Ich brachte ihr ein Glas Wasser und entschuldigte mich, erklärte zugleich aber, dass dieses Buch für uns nicht irgendein Buch sei, sondern von überragender Bedeutung, weswegen wir es uns holen würden, so oder so. Wozu Charlie noch hinzufügte: »Wir bemühen uns ehrlich, Ihnen dabei keinen weiteren Schaden zuzufügen. Andererseits werden wir alles tun, um in den Besitz des Buches zu gelangen.« Sie war in diesem Moment aber von solch ohnmächtiger Wut ergriffen, dass sie diese tiefe Logik gar nicht verstand. Dennoch, nachdem ich sie zu ihrem Zimmer begleitet hatte, übergab sie mir das Buch ohne Weiteres, worauf ich wiederum darauf bestand, dass sie den zweiten Doppeladler an sich nahm. Ich möchte gerne glauben, dass diese Geste unsererseits einiges an dem Treffer in die Magengrube milderte, doch ich habe meine Zweifel. Charlie und ich neigen eigentlich gar nicht zu dieser Art feiger Gewalt, also Gewalt gegen Schwächere, aber wir hatten keine Wahl, wie aus den nachfolgenden Seiten zu ersehen ist.
    Denn nun folgt die wörtliche Abschrift aller wesentlichen Eintragungen im Journal des Henry Morris, welche seine rätselhafte Kumpanei mit Hermann Kermit Warm zum Gegenstand haben und darüber hinaus den Verrat am Kommodore bezeugen, wodurch Morris also die längste Zeit Kundschafter und Vertrauter des Kommodore gewesen war.

★ Kam doch heute, aus heiterem Himmel, der Warm auf mich zu. Und das, nachdem wir uns eine Woche lang fast gar nicht gesehen hatten: Ich ging gerade durch die Hotelhalle, und da war er, wie aus dem Hinterhalt, und fasste mich am Arm wie der Ehrenmann eine Lady, wenn er sie über den Straßenkot führen will. Darüber war ich natürlich einigermaßen perplex und machte mich brüsk frei. Worauf er mich beleidigt fragte: »Sind wir nun einander versprochen oder nicht?« Es war neun Uhr am Morgen, trotzdem war der Kerl sturzbetrunken, so viel stand fest. Ich beschied ihm, er solle es unterlassen, mich weiter zu verfolgen, was wohl uns beide frappierte. Zwar fühlte ich mich seit etlichen Tagen beobachtet, doch es hatte nie gereicht, dass ich das mulmige Gefühl auch vor mir aussprach. Seine

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