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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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sonderlich hell im Zimmer war, wollte ich die Vorhänge öffnen, doch Warm meinte, er bevorzuge gedämpftes Licht, »sowohl aus Gründen der Geheimhaltung als auch des effektvolleren Gesamteindrucks wegen«, wie er erklärte. Ich trat also an den Tisch und sah zu, wie er zwei Drittel der Erde in den Kasten gab und so verteilte und andrückte, dass eine ebene Fläche entstand. Dann reichte er mir den roten Samtbeutel und bat mich nachzusehen, was darin sei. Es war Goldstaub. Ich sagte: »Goldstaub.« Er nahm den Beutel an sich und streute dessen Inhalt in den Kasten. Ich war entsetzt und fragte, ob er verrückt geworden sei. Ich erhielt keine Antwort, sondern nur die Anweisung, mir genau zu merken, wo und wie er den Goldstaub im Kasten verteilt habe, nämlich in Form eines kleinen Kreises. Darüber schüttete er die restliche Erde und klopfte sie fünf Minuten lang fest, bis sie so fest wie Ton war. Dies kostete ihn nicht geringe Anstrengung, und er schwitzte reichlich. Dann nahm er meine Waschschüssel und goss das darin befindliche Wasser vorsichtig über die Erde, bis es beinahe über den Rand des Kastens schwappte. Dann trat er zurück, um sich an meiner Verblüffung zu delektieren. Dann sagte er: »Was Sie hier sehen, ist im Prinzip das, was in jedem Flussbett passiert, in dem Gold vermutet wird. Hier erleben Sie im Kleinen, was die halbe Welt verrückt gemacht hat. Denn die große Herausforderung, vor die jeder Goldsucher gestellt ist, lautet immer gleich: Wie gelange ich an das Gold, das direkt unter meinen Füßen liegen muss? Auch die Antwort lautet bekanntermaßen immer gleich, nämlich durch knochenbrechende Arbeit und viel, viel Glück. Das Erste ist anstrengend, das Zweite mehr als fraglich. Seit etlichen Jahren arbeite ich daher an einer dritten, sichereren und einfacheren Methode.« Er nahm die Feldflasche zur Hand und schraubte sie auf. »Korrigieren Sie mich, Mr. Morris, doch mit dieser Formel glaube ich die Lösung gefunden zu haben.« Er reichte mir die Feldflasche, und ich fragte ihn, ob man die Flüssigkeit darin trinken könne. Er sagte: »Nicht, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.« – »Das heißt, es ist kein Getränk?« Darauf der Warm: »Nein, sondern mein Wunderelixier!« Wie seltsam seine Stimme dabei wurde, wie zugeschnürt und wie gehetzt sein Blick, und wie bedrohlich seine Schläfenvene pochte. Dann leerte er die Feldflasche vorsichtig in den Kasten. Es war eine stinkende, violette Flüssigkeit, schwerer als Wasser und deshalb schnell versiegt und von der Erde verschluckt. Dreißig Sekunden lang passierte gar nichts, außer dass ich auf die feuchte Erde starrte, aber keinen Unterschied erkennen konnte. Ich blickte Warm an. Seine Augenlider waren halb geschlossen, und er wirkte sehr, sehr müde. Ich wollte ob des offenbar misslungenen Experiments schon etwas Tröstendes sagen, als in seinen Augen nach und nach ein goldener Widerschein aufging. Als ich daraufhin wieder auf den Kasten sah, erschrak ich fast, denn direkt vor mir, ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, vor mir leuchtete ein goldener Kreis durch die Erde!
    Meine erste Reaktion war absolute Verzauberung, und meine gestammelten Fragen und Ausrufe, womit ich Warm nun meine Bewunderung zollte, freuten diesen ohne Ende. Und so dauerte es nicht lang, bis er mir seine weitere Vorgehensweise, das Wunderelixier betreffend, auseinandersetzte. Folgendes schwebte ihm vor: Man staue einen Fluss und gebe das violette Elixier im Schutz der Nacht in den aufgestauten Abschnitt, natürlich in größerer Menge als jetzt. Sobald die Formel ihre Wirkung entfalte, könne man ins Wasser waten und das Gold ganz bequem herausholen. Das goldene Leuchten, erklärte er, dauere zwar nur wenige kostbare Minuten, doch sei in dieser Zeit mehr zu gewinnen als sonst in Wochen herkömmlichen Schürfens. Auf diese Weise könne man systematisch Abschnitt für Abschnitt ausbeuten, bis das gewünschte Millionenvermögen erreicht sei. Und eine weitere Million sei mit dem Verkauf der Geheimformel zu erzielen. Der Rest sei einfach: ein unbeschwertes Leben »im samtenen Arm glücklich erworbenen Reichtums«, wie er sich ausdrückte. Mir schwirrte der Kopf. Alles in allem war es die großartigste und staunenswerteste Erfindung, von der ich je Kenntnis erlangte. Deshalb zögerte ich mit der einzigen Frage, die ich dazu hatte. Ich wollte Warm auf keinen Fall kränken oder ihm die Stimmung verderben, aber es war etwas, das angesprochen werden musste. Nämlich: »Warum

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