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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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seinem Namen gefragt, und er hat ihn mir auch nicht gesagt.«
    »Welche Farbe hatte der Bart?«, fragte ich.
    »War das wieder Ihr Bruder?«
    »War der Bart rot?«, fragte ich.
    »Er war rot.«
    »Wie lange schon ist Morris weg?«, fragte Charlie.
    »Vier Tage. Er hat das Zimmer bis morgen bezahlt. Als er sagte, dass er sehr früh aufbrechen wolle, bot ich ihm einen Preisnachlass an, doch das lehnte er ab. Ein Gentleman, wie er im Buche steht.«
    »Und uns hat er keine Nachricht hinterlassen?«
    »Nein.«
    »Hat er gesagt, wohin er geht?«
    »Zum Leuchtenden Fluss, wie er sagte. Er und der Mann haben noch darüber gelacht. Weswegen, weiß ich aber nicht.«
    »Sie sagen, Sie haben gemeinsam gelacht?«
    »Ja, gleichzeitig. Daher ging ich davon aus, dass sie über dieselbe Sache lachen. Diesen Leuchtenden Fluss habe ich übrigens auf der Karte nicht gefunden.«
    »Wirkte Mr. Morris irgendwie angespannt? So, als ginge er nicht freiwillig mit?«
    »Ich hatte nicht den Eindruck.«
    Charlie dachte nach. »Diese Freundschaft ist mir ein Rätsel.«
    »Mir auch«, sagte die Stimme. »Zunächst sah es nämlich nicht danach aus, als ob Mr. Morris diesen Herrn leiden konnte. Aber dann waren sie plötzlich unzertrennlich und verbrachten jede Minute zusammen, immer in Mr. Morris’ Zimmer.«
    »Und er hat uns gar nichts hinterlassen?«
    »Das sagte ich doch bereits«, entgegnete die Stimme ziemlich von oben herab.
    »Hat er auch sonst nichts dagelassen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    Charlie fixierte den Trichter wie einen Gegner. »Ma’am, bitte sagen Sie uns, was es ist.«
    Von der anderen Seite nur das Atmen der Frau. Dann: »Ein Buch.«
    »Was für ein Buch?«
    »Ein Buch, in das er hineingeschrieben hat.«
    »Geschrieben? Was?«
    »Ich weiß es nicht. Und würde es Ihnen auch nicht sagen, wenn ich es wüsste.«
    »Eher Persönliches, oder?«
    »Richtig. Deshalb habe ich das Buch selbstverständlich gleich wieder zugemacht.«
    »Und was brachten Sie bis dahin in Erfahrung – bis Sie das Buch zugemacht haben?«
    »Dass das Wetter auf seiner Reise nach San Francisco nicht gut war. Allein das war mir schon peinlich. Ich pflege die Privatsphäre meiner Gäste zu achten.«
    »Natürlich.«
    »Meine Gäste können von mir absolute Diskretion erwarten, was ihre Privatsphäre angeht.«
    »Verstehe. Darf ich fragen, wo das besagte Buch jetzt ist?«
    »Bei mir, in meinem Zimmer.«
    »Wären Sie so freundlich, es uns zu zeigen?«
    Pause. »Das geht nicht.«
    »Ich versichere Ihnen, wir sind Freunde von Mr. Morris.«
    »Und warum hat er Ihnen dann keine Nachricht hinterlassen?«
    »Vielleicht hat er uns das Buch dagelassen.«
    »Nein, er hat es bei seinem überstürzten Aufbruch vergessen. Ich habe es unter seiner Bettdecke gefunden. Mr. Morris war zu diesem Zeitpunkt sehr nervös. Und nach allem, was ich weiß, wollte er gerade Ihnen nicht begegnen.«
    »Das heißt, Sie wollen mir das Buch nicht zeigen?«
    »Auf jeden Fall können sich meine Gäste auf mich verlassen.«
    »Nun gut«, sagte Charlie. »Könnten Sie uns dann etwas zu essen bringen? Und Bier.«
    »Wollen Sie denn bleiben?«
    »Zumindest für eine Nacht. Wir nehmen dieses Zimmer.«
    »Und was, wenn Mr. Morris zurückkehrt?«
    »Wenn er, wie Sie sagen, das Hotel in Begleitung von Mr. Warm verlassen hat, dann kommt er nicht wieder.«
    »Und falls doch?«
    »Dann machen Sie mit Champagner den Umsatz Ihres Lebens, denn die Wiedersehensfeier wird feucht und fröhlich sein.«
    »Wünschen Sie warme oder kalte Küche?«
    »Warm. Mit Bier.«
    »Also dann zwei warme Mittagessen?«
    »Mit Bier.«
    Die Frau meldete sich ab, und Charlie legte sich aufs Bett. Ich fragte ihn, wie er die neue Lage beurteilte, und er sagte: »Das weiß ich erst, wenn ich das Buch gesehen habe.«
    »Ich glaube kaum, dass die Frau es freiwillig herausrückt.«
    »Das werden wir ja sehen«, sagte er.
    Ich machte das Fenster auf und beugte mich hinaus in die Meeresluft. Das Hotel lag auf einer steilen Anhöhe, und ich beobachtete eine Gruppe bezopfter Chinesen in Seidenkitteln und schlammbespritzten Pantinen dabei, wie sie einen Ochsen den Hügel hochschoben. Der Ochse hatte offenbar wenig Lust dazu, und sie schlugen ihm andauernd auf den Hintern. Ihre Sprache hörte sich wie Vogelgeschnatter an, völlig fremd und eigenartig, aber darin wieder auch schön. Obwohl sie vermutlich nur ohne Ende fluchten. Es klopfte an der Tür, und die untersetzte Hotelfrau, die keine Lippen hatte, trat mit unserem Mittagessen

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