Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
sie in der ersten Zeit nicht einsetzen dürften.«
»Wir leben von dem Mayfield-Zaster plus unseren Rücklagen.«
»Oder wir müssten ein kleines privates Bächlein finden und heimlich mit der Formel arbeiten.«
»Schwierig, so ein Unterfangen geheim zu halten.«
»Schwierig, aber nicht unmöglich. Unter Umständen müssten wir auch ein paar Leute anheuern. Ich frage mich ohnehin, wie Warm mit zwei Mann einen ganzen Fluss aufstauen will.«
»Okay, jetzt die moralischen Aspekte.«
»Die moralischen Aspekte, richtig«, sagte Charlie. »Sag.«
»Mir war Mr. Morris noch nie so recht sympathisch. Was daran liegen kann, dass er uns immer seine Verachtung hat spüren lassen, wodurch natürlich keine Gegenliebe aufkommt. Ich muss aber zugeben, dass ich ihn zumindest respektiere.«
»Sehe ich auch so. Im Prinzip ein ehrenwerter Mann, trotz seines Verrats.«
»Aus heutiger Sicht würde ich sogar sagen: gerade wegen seines Verrats. Und Warm hat sich durch seine Intelligenz meine Hochachtung erworben.«
»Auf jeden Fall.«
»Ich weiß nicht, was ich noch mehr sagen soll.«
»Mit anderen Worten, sie sollen lieber nicht sterben.«
»Darauf läuft es hinaus. Ich habe noch einmal über unseren letzten Auftrag nachgedacht. Der, bei dem wir die Pferde verloren haben. Erinnerst du dich noch an die Männer, gegen die es ging? Sie waren nur aufs Blutvergießen aus – wessen Blut, war ihnen egal. Sie lebten, um zu sterben. Auch unsere Rolle stand fest, sobald wir ihr Land betraten.«
Charlie erinnerte sich. »Stimmt, die waren hart drauf.«
»In ihrem Fall fühlte ich mich aber im Recht. Es war unerheblich, ob sie dem Kommodore etwas getan hatten oder nicht, sie waren durch und durch böse und hätten uns umgebracht, wenn wir nicht schneller gewesen wären. Aber bei Warm und Morris liegen die Dinge anders. Es wäre eher so, als würden wir Frauen und Kinder abschlachten.«
Charlie war still geworden. Er dachte über die zwei Arten Zukunft nach, die nahe und die ferne. Ich war eigentlich noch nicht fertig, wollte ihn aber nicht unterbrechen, und das Entscheidende war ja gesagt. Insgesamt war ich erleichtert, dass alles zur Sprache gekommen war, was mich bewegte, und dass Charlie meine Ansicht nicht von vornherein verwarf. Dazu kam, dass wir uns, nach der Sache in San Francisco, wieder vertragen hatten. Äußerlich zumindest. Eigentlich gelang es uns nur noch durch diese förmlich-sterilen »Aussprachen«, eine Art Waffenstillstand zu wahren.
Ehe wir Warms Claim erreicht hatten, brach die Dunkelheit herein, und wir schlugen unter den Eichen unser Lager auf. Mein Pferd Tub bekam seine Augenspülung. Und erhob sein Geschrei, keilte und buckelte. Als der Schmerz nachließ, legte er sich hin und starrte schnaufend ins Nichts. Er fraß kaum, aber ich glaubte an seine Widerstandskraft und dass er schon bald genesen würde. Kurz vor dem Einschlafen schaute ich hoch in die Baumwipfel und wie sie im Wind rauschten. Ich hörte auch das Rauschen vom Fluss, konnte diesen aber nicht mehr lokalisieren. Mal schien er nördlich zu liegen, ein andermal südlich. Am Morgen stellte ich fest, dass er im Osten lag. Kurz nach Mittag gelangten wir an Warms alten Claim und beschlossen, dort die Nacht zu verbringen, so konnte sich mein Pferd Tub vor dem nächsten Tag, der anstrengend genug werden würde, noch etwas erholen. Und Charlie und ich hatten Gelegenheit, uns auf die anstehende Aufgabe einzustellen.
Der Claim war idyllisch an einer grasbewachsenen Sandbank gelegen. Unten war ein Schild mit der Aufschrift: DIESES GEWÄSSER BEFINDET SICH VORÜBERGEHEND IM BESITZ VON HERMANN KERMIT WARM. DIESER IST EIN EHRLICHER MANN UND PFLEGT GUTEN UMGANG MIT ALLEN ENGELN UND ERZENGELN. WER ALSO MEINT, SEINE PFANNE IN DIESEN ABSCHNITT TAUCHEN ZU MÜSSEN, WIRD SICH BALD VON HIMMLISCHEN HEERSCHAREN UMZINGELT SEHEN, DIE IHN BESCHIMPFEN UND MIT SPITZEN HARFEN PIESACKEN UND GEGEBENENFALLS MIT BLITZ UND DONNER . Die Inschrift war mit gemaltem Blattwerk verziert. Warm hatte sich mit seinem Projekt Zeit genommen.
Fette Forellen schwammen träge in der Strömung, und Charlie schoss einer in den Kopf – für unser Abendessen. Blut wölkte, als die Kugel traf, und der Fisch trieb seitlich ab. Charlie watete hinterher, packte ihn am Schwanz und warf ihn in hohem Bogen auf die Sandbank, wo ich saß. Ich nahm ihn aus, entschuppte und briet ihn in Schweineschmalz. Er war mehr als vier Pfund schwer, und bis auf den Kopf und die Innereien aßen wir ihn vollständig auf.
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