Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
noch, das war am späten Nachmittag.
Danach ging es in die Wildnis. Wir ritten durch einen Eichenwald, der so dicht und feucht war, dass man sich vorsehen musste. Entsprechend langsam kamen wir voran. Und noch länger wurde uns die Zeit durch den Umstand, dass keiner von uns ein Wort sprach. Ich dachte: Ich sage jetzt ums Verrecken nichts. Aber dann sagte Charlie doch etwas.
Er sagte: »Wir müssen noch besprechen, wie wir mit Warm verfahren.«
»Gut«, sagte ich. »Aber wir sollten alles ganz genau durchdenken.«
»Okay. Beginnen wir mit unseren Auftraggeber. Was erwartet er von uns?«
»Er erwartet erstens, dass wir Morris liquidieren, und zwar schnell und ohne unnötige Grausamkeit. Zweitens, dass wir Warm die Formel abpressen, ehe auch er liquidiert wird, nur langsamer.«
»Und was machen wir mit der Formel?«
»Wir übergeben sie dem Kommodore.«
»Und was macht er mit der Formel?«
»Er gibt sich als deren Erfinder aus und wird damit stinkreich.«
»Exakt. Daher meine Frage: Warum tun wir das für den Kommodore?«
»Meine Rede.«
»Nein, wir müssen alles ganz genau durchdenken. Deshalb antworte mir, Eli: Warum tun wir das für den Kommodore?«
Ich sagte: »Weil wir dafür bezahlt werden und aus Hochachtung, deiner Hochachtung für einen Machtmenschen, den du eines Tages beerben oder in den du dich verwandeln willst.«
Charlie zog ein Gesicht, das in etwa sagte: Ich hätte nicht gedacht, dass du mich so gut durchschaust. »Okay. Nehmen wir an, du hättest recht. Wäre es da sinnvoll, den Kommodore noch mächtiger zu machen? Ihm dieses Wunderelixier in die Hand zu geben?«
»Es wäre nicht sinnvoll.«
»Genau. Wäre es nicht sinnvoller, den Auftrag Punkt für Punkt abzuarbeiten – bis eben auf den letzten, der die Aushändigung der Formel betrifft?«
»Das heißt, wir töten zwei Unschuldige, um uns in den Besitz ihrer hart erarbeiteten Idee zu bringen?«
»Moralische Fragen erörtern wir später. Bis jetzt lautet die Frage: Wäre es sinnvoll?«
»Es wäre zumindest nicht unvernünftig.«
»Gut. Aber welche Folgen hätte der Ungehorsam gegenüber dem Kommodore?«
»Äußerst unangenehme Folgen. Ich glaube, er würde uns bis ans Ende unserer Tage verfolgen.«
»Es sei denn?«, sagte er und schürzte die Lippen. »Es sei denn?«
»Es sei denn, wir kommen ihm zuvor und töten ihn.«
»Und wie töten wir ihn?«
»Was meinst du?«
»Operieren wir aus dem Hinterhalt? Kündigen wir an, dass wir ihm nach dem Leben trachten? Erklären wir erst seinen Gehilfen den Krieg? Vergiss nicht, er hat in jeder Stadt, jedem Handelsposten seine Leute sitzen.«
»Nein, in diesem Fall müssten wir ihn schon selbst aus dem Weg räumen. Wir gehen also wie vereinbart zu ihm und erschießen ihn in seinem Haus. Und dann hauen wir ab.«
»Hauen ab wohin? Wer wollte uns verfolgen, wenn der große Boss tot ist?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass es klare Orders gibt für den Fall eines verfrühten Hinscheidens.«
Charlie nickte. »Genau das ist der Fall. Er hat sogar schon mit mir darüber gesprochen. Er sagte: ›Sollte mein Blut vor der Zeit vergossen werden, wird Blut in Strömen fließen.‹ Wie wirkt sich eine solche Ankündigung auf unseren Plan aus?«
Ich sagte: »Wir müssten ihn unauffällig erledigen.«
»Unauffällig, ohne das geringste Aufsehen, das ist es«, sagte Charlie.
»Wir kommen im Schutz der Nacht und meucheln ihn im Schlaf. Danach fliehen wir in die Wildnis und verstecken uns für viele Tage. Irgendwann kehren wir zurück, vorgeblich aus San Francisco, wo wir die Spur von Morris und Warm verloren haben und daher mit leeren Händen kommen, ohne die Formel. Dann tun wir sehr überrascht, wenn wir vom Tod des Kommodore erfahren, und bieten an, jeden umzulegen, der auch nur entfernt daran beteiligt sein könnte.«
»Schön, schön, bis auf den letzten Teil«, sagte er. »Denn sollte der Kommodore tatsächlich ermordet werden, stehen erst einmal alle unter Verdacht, und es kommt zu einer Menge Gewalt. Es würde mich wundern, wenn wir nicht verdächtigt würden, und noch verdächtiger wäre es, wenn wir umgekehrt niemanden verdächtigten. Ich sage dir, das Ganze wird eine ziemlich blutige Angelegenheit.«
»Was schlägst du dann vor, Bruder?«
»Was wäre, wenn der Kommodore eines Morgens einfach nicht mehr aufwacht? Im Schlaf gestorben! Das lässt sich hinkriegen. Ein Kissen aufs Gesicht – und das war’s.«
»Gute Idee«, sagte ich. »Und wir hätten auch die Formel.«
»Obwohl wir
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