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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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Auf dem weichen Gras lag es sich gut, und wir beide schliefen wie in Abrahams Schoß. Am Morgen weckte uns ein kleines, verfilztes Männchen, ein glücklicher Goldsucher, der mit einem Beutel voll Goldstaub und -flitter in die Zivilisation zurückkehrte.
    »Guten Morgen, die Herren«, sagte er. »Ich war soeben dabei, Feuer zum Kaffeekochen zu machen, da roch ich Ihren Rauch und möchte fragen, ob ich das Ihre benutzen darf. Sie sind selbstverständlich eingeladen.«
    Ich sagte, ich hätte nichts dagegen, und so stocherte er in der Glut und setzte seine geschwärzte Kanne mitten hinein. Dabei redete er mit sich, etwa so: »So ist es richtig. Gut machst du das. Aber Vorsicht, wie schnell geht etwas daneben!« Was noch beunruhigender war: Etwa alle dreißig Sekunden bekam er diese Zuckungen im Gesicht. Und ich dachte bei mir: Der ist schon so lang allein in der Wildnis, dass aus ihm zwei geworden sind.
    »Wohin wollen Sie?«, fragte ihn Charlie. »Nach San Francisco?«
    »Darauf können Sie wetten. Vier Monate war ich weg, und ich kann immer noch nicht glauben, dass es endlich nach Hause geht. Aber ich habe alles geplant, bis ins letzte Detail.«
    »Was haben Sie geplant?«
    »Alles, was ich dort machen will.« Die Einzelheiten interessierten uns zwar nicht, doch er war nicht zu bremsen. »Als Erstes miete ich mir ein sauberes Zimmer, und zwar ganz oben, sodass ich immer gut sehen kann, was unten geschieht. Zweitens lasse ich mir ein kochend heißes Bad machen. Dann will ich – drittens – bei offenem Fenster in der Wanne sitzen und den Lauten der Stadt lauschen. Viertens lasse ich mich rasieren und mir die Haare schneiden, aber schön kurz und mit Scheitel. Fünftens kleide ich mich von Kopf bis Fuß neu ein, mit neuen Hemden, Unterhemden, Hosen, Strümpfen, alles.«
    »Ich muss kacken«, unterbrach Charlie den Mann und ging in den Wald.
    Den Goldsucher focht das nicht an, er schien Charlies Unhöflichkeit gar nicht bemerkt zu haben, sondern starrte weiter ins Feuer und redete und redete. Wahrscheinlich hätte er nicht einmal dann aufgehört, wenn auch ich gegangen wäre. »Sechstens gehe ich essen. Ich bestelle mir ein Steak so groß wie mein Kopf. Siebtens will ich mich betrinken, aber richtig. Achtens hole ich mir ein hübsches Fräulein und lege mich mit ihr ins Bett. Neuntens unterhalte ich mich mit ihr über ihr Leben, und sie will auch von mir alles wissen und so weiter, immer höflich und zivilisiert. Zehntens. Was ich zehntens mache, geht niemanden etwas an, aber elftens. Elftens schicke ich sie weg und räkle mich in meinem sauberen weichen Bett, etwa so …« Er streckte die Arme so weit aus, wie es ihm möglich war. »Zwölftens, Mann, zwölftens will ich nur schlafen, schlafen, schlafen!«
    Inzwischen kochte das Wasser, und er goss jedem von uns eine Tasse Kaffee ein, der allerdings derart übel schmeckte, dass ich zusammenzuckte und die Plörre nur aus Höflichkeit nicht sofort ausspuckte. Aber das war auch kein Wunder, denn als ich mit dem Finger darin rührte, förderte ich nur Schlamm zutage. Ich roch daran, leckte daran und tatsächlich: Es war nichts als Schlamm und Dreck. Erde. Ich meine, wenn Leute Drecksbrühe sagen, dann ist das normalerweise nicht wörtlich gemeint. Meine Tasse hingegen, sie enthielt wirklich nichts anderes als heißes Wasser und Dreck. Ich führte das auf seine Digger-Einsamkeit zurück. Auf Digger-Einsamkeit folgt nämlich schnell Digger-Wahnsinn. Irgendwann hatte er angefangen, sich einzureden, seine Drecksbrühe sei Kaffee. Ich hätte ihn gern über seinen Irrtum aufgeklärt, aber ich wollte seinen Gastgeberstolz nicht verletzen. Und wer war ich überhaupt, dass ich mir einbilden konnte, mit einem Schlag ein Gespinst zu zerreißen, das in Tagen, Wochen und Monaten entstanden war und ihm die schäbige Wirklichkeit aufs Schönste ersetzte? Ich wollte daher die nächsten Zuckungen abwarten und das Zeug wegschütten, wenn er nicht hinsah. Kurz darauf kam Charlie aus dem Wald zurück, und ich signalisierte ihm mit Blicken, den Kaffee auf keinen Fall zu trinken. Charlie lehnte die angebotene Tasse daher ab. »Umso mehr bleibt für uns«, vertraute mir der Digger an, wofür ich jedoch nur ein schwaches Lächeln übrig hatte.
    »Sagen Sie, haben Sie vielleicht zwei Freunde von uns gesehen?«, fragte Charlie. »Sie müssen sich etwa vor zwei Tagen hier aufgehalten haben. Zwei Männer. Einer mit Bart, einer ohne.«
    »Sie hatten jede Menge Ausrüstung mit dabei«, fügte ich

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