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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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einen kurzen Stopp einlegen konnten. Warm und Morris würden wir uns später zu Fuß nähern. Wir stiegen ab und brachten die Pferde in den Wald. Ich fand ein schattiges Plätzchen für mein Pferd Tub, und sobald ich ihm den Sattel abgenommen hatte, legte er sich hin, aber so, dass ich dachte, der steht nie wieder auf. Deswegen bedrückte es mich doppelt, dass ich ihn immer so schlecht behandelt hatte. Ich füllte mein Essgeschirr mit Wasser aus meiner Feldflasche und stellte es ihm hin, aber er wollte immer noch nicht saufen. Ich versuchte es mit etwas Futter, auch daran zeigte er kein Interesse. Er lag nur schwer schnaufend da.
    »Ich habe keine Ahnung, wo wir für dich ein neues Pferd auftreiben sollen«, sagte Charlie.
    »Vielleicht braucht er nur etwas Ruhe«, sagte ich.
    Charlie stand abwartend hinter mir. Ich kniete vor meinem Pferd Tub, streichelte sein Gesicht und sagte immer wieder seinen Namen, weil ich dachte, vielleicht tröstet ihn das. Seine leere Augenhöhle zuckte und war ganz zusammengefallen, die blutige Zunge hing ihm aus dem Maul, und das dicke rote Rinnsal lief jetzt auf den Waldboden. Wirklich, da fühlte ich mich richtig mies und mochte mich selbst nicht mehr leiden.
    »Wir müssen jetzt gehen«, sagte Charlie, wobei er die eine Hand auf meine Schulter legte und die andere an seine Pistole. »Soll ich es tun?«, fragte er.
    »Nein. Gehen wir und lassen wir ihn in Frieden.«
    Also trennten wir uns von unseren Pferden und hielten uns Richtung Norden, um uns endlich um Warm zu kümmern.

Das Lager von Morris und Warm lag in einem von dichtemWald umgebenen Talgrund. Wir standen auf einem Hügel westlich davon und konnten genau sehen, wie gut sie sich dort eingerichtet hatten. Pferde und Maultiere standen ordentlich nebeneinander, und ein kleines Feuer schwelte vor ihrem nagelneuen Zelt. Auch ihre Arbeitsgeräte, Sättel und Satteltaschen lagen wohlgeordnet in Reih und Glied. Es war mittlerweile später Nachmittag, Abendkühle lag schon in der Luft. Die Sonne warf ihr rötliches Licht an die Baumkronen und spiegelte sich im Fluss wie ein golden glitzerndes Band. Jetzt erkannten wir auch den Biberdamm, vor dem sich ein träger Strudel gebildet hatte, weil das Wasser nicht frei fließen konnte. Wahrscheinlich wusste niemand genau, ob und wie die Formel in der Realität funktionierte, aber hier war das ideale Testgelände.
    Unten im Zelt regte sich etwas, der Eingang wurde zurückgeschlagen. Morris erschien und kroch ins Freie, aber er hatte nichts mehr von dem parfümierten Stutzer, als den ich ihn kennengelernt hatte. Zunächst erkannte ich ihn gar nicht. Sein Unterhemd war voller Schlamm und Schweißflecken, die Haare wüst, Hosenbeine und Ärmel waren hochgerollt, und die nackte Haut darunter war weinrot verfärbt. Mit einem unerklärlichen Grinsen im Gesicht redete er in einem fort, vermutlich zu Warm, der noch im Zelt war, allerdings konnten wir aus der Entfernung nichts verstehen. Quer zum Hang begannen wir unseren Abstieg, immer darauf bedacht, keine Steine loszutreten, was die Männer im Lager alarmiert hätte. Als wir uns ihnen näherten, hörten wir erneut Morris’ Stimme, doch sprach er zu niemandem, sondern schmetterte ein lustiges Arbeitslied. Charlie tippte mir an die Schulter und deutete auf das Zelt, das von unserer Warte aus einen Blick ins Innere zuließ: Es war leer. Im selben Moment hörten wir von irgendwo über uns: »Hände hoch oder ihr kriegt eine Kugel in den Kopf.« Wir sahen hoch und sahen einen vollkommen verwilderten Gnom auf einem Ast, der uns triumphierend ansah und eine Baby Dragoon auf uns gerichtet hatte.
    »Wenn das nicht Hermann Warm ist«, sagte Charlie.
    »Das ist korrekt«, sagte der Mann. »Und da ihr meinen Namen kennt, kann ich mir auch denken, wer ihr seid. Ihr seid die Männer des Kommodore, die berühmten Sisters-Brüder.«
    »Das ist richtig.«
    »Wenn ich bedenke, welch langen Weg ihr auf euch genommen habt, bin ich beinahe geschmeichelt. Also nicht wirklich geschmeichelt, aber so ähnlich.« Ich wollte mich bequemer hinstellen, doch Warm bellte sofort: »Noch eine Bewegung, und ich knalle dich ab. Ihr denkt wohl, ich mache Witze. Aber ihr seid in meiner Gewalt, und ich drücke sofort ab, nur damit ihr Bescheid wisst.« Das war ernst zu nehmen, und mir war, als spürte ich bereits den heißen Eintrittspunkt der Kugel in meinem Schädel. Genau wie Morris war Warm barfuß und hatte die Hosenbeine aufgekrempelt. Seine Hände und Füße waren ebenfalls

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