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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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Ausreise aus Deutschland, welche daher auch nur heimlich und unter Totalverlust seines Vermögens vonstattengehen konnte. Auch hasste er Amerika von der ersten Sekunde an und hasste es von ganzem Herzen bis zu seinem Tod. Ich erinnere mich, wie er selbst den goldenen Herbst von Massachusetts so sehr verabscheute, dass er ausspuckte und rief: ›Dass Sonne und Mond nicht vor Scham ersterben, dieses Drecksland zu beleuchten.‹ Er betrachtete nach wie vor Berlin als die große Metropole und seinen wahren Wirkungskreis. In Neuengland fühlte er sich wie strafversetzt und aller Möglichkeiten beraubt, nicht zuletzt, weil man dort seine Kunst nicht annähernd so zu würdigen wusste wie in der Heimat.«
    »Er war Erfinder, sagst du? Was hat er erfunden?«
    »Nun ja, er ersann kleine praktische Verbesserungen für bestehende Erfindungen. Zum Beispiel eine Taschenuhr mit eingebautem Kompass. Oder eine spezielle Damenuhr, die kleiner war als das Original, in Tropfenform, und die es in Pastellfarben gab. Bevor der Skandal ihn ruinierte, war er ein angesehener, gut honorierter Uhrmachermeister. Dann kam die Emigration, und es ging noch mehr bergab mit ihm. Mit seiner seltsamen Aufmachung und seinen nicht vorhandenen Englischkenntnissen kam er nicht einmal in den schlechtesten Uhrenmanufakturen unter, Klitschen, auf die er in Deutschland herabgeblickt hätte. So geriet er in Armut, und seine ohnehin dunkle Gedankenwelt verdüsterte sich weiter. Entsprechend waren auch seine Erfindungen aus dieser Zeit ebenso diabolische wie irrwitzige Folter- und Hinrichtungsapparate. So hielt er die Guillotine beispielsweise für das technische Sinnbild menschlicher Leistungsverweigerung und ästhetischer Einfallslosigkeit. Aber nicht mit ihm. Sein verbessertes Modell trennte einem Menschen nicht nur den Kopf ab, sondern verhackstückte praktisch den ganzen Körper. Das dafür notwendige Schneidwerk nannte er die Zwingende Quadratur . Später erfand er eine Schrotflinte mit fünf fächerartig angeordneten Läufen, die ihre Ladung gleichzeitig im Umkreis von dreihundert Grad verschossen. Es gab nur einen kleinen Ausschnitt, der von dem Bleihagel verschont blieb, nämlich den in der Mitte, dort, wo der Schütze stand. Bei ihm hieß es das Triangulum des Wohlergehens .«
    »So schlecht finde ich die Idee gar nicht.«
    »Aber nur, wenn du zufällig von fünf Männern umzingelt bist, sonst richtet so eine Waffe nur Schaden an.«
    »Es zeugt dennoch von Fantasie.«
    »Es zeugt von absoluter Rücksichtslosigkeit und mangelnder Alltagstauglichkeit.«
    »Trotzdem eine interessante Idee.«
    »Unbestritten. Aber wenn man wie ich erst dreizehn Jahre alt ist, dann können einen solche Erfindungen nicht erheitern. Im Gegenteil, mich verstörten sie zutiefst, denn ich hatte das ungute Gefühl, dass er alle diese Apparate an mir ausprobieren wollte. Selbst heute will ich diesen Verdacht nicht als Paranoia abtun. Ich war deshalb nicht allzu unglücklich, als er an einem schönen Frühlingsmorgen seinen Ranzen schnürte und ohne ein Wort des Abschieds verschwand. Selbstverständlich hielt er es auch nicht für nötig, mir zu sagen, wie es nun weitergehen sollte. Später hörte ich, dass er Selbstmord begangen hatte, in Boston, mit einer Axt.«
    »Mit einer Axt? Wie bringt man sich mit einer Axt um?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was in dem Brief stand: Mit großem Bedauern melde ich den Tod Ihres Angehörigen Hans Warm, der am 15. Mai diesen Jahres von eigener Hand unter Zuhilfenahme einer Axt verstarb. Evtl. Wertgegenstände werden zugesandt. «
    »Vielleicht wurde er ermordet.«
    »Das glaube ich nicht. Wenn es überhaupt jemand schafft, sich mit einer Axt umzubringen, dann Vater. Die Wertgegenstände kamen übrigens nie bei mir an. Ich habe mich oft gefragt, was ihm am Ende überhaupt geblieben ist.«
    »Und wie ist es dir danach ergangen?«
    »Zwei Wochen lang war ich in unserer Hütte allein, dann stand plötzlich meine Mutter vor der Tür, achtundzwanzig Jahre alt und schön wie im Märchen. Sie hatte von meiner Lage gehört und war gekommen, um mich nach Worcester zu holen, wo sie schon all die Jahre lebte. Sie bedauerte sehr, dass sie mich vor Jahren im Stich gelassen hatte, doch die Angst vor meinem Vater, der trank und sie mit Messern, Gabeln und allerlei spitzen Gegenständen bedrohte, war größer gewesen. Überhaupt muss die Ehe der beiden recht einseitig gewesen sein, sprich erzwungen. Sie konnte nie ohne Abscheu über diese Zeit reden.

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