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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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Tierhäute um die Füße wickelte? Sehr wahrscheinlich wurde er von seiner Horde verstoßen und war vogelfrei.« Er lachte. »Oder man hat ihn gesteinigt.« Dem hatte ich nichts hinzuzufügen, doch Warm erwartete wohl auch gar keine Antwort. Immerhin waren wir inzwischen aufgebrochen. »Natürlich hatten Menschenfüße damals eine dickere Hornhaut, daher waren Schuhe eher ein Modeaccessoire denn eine Notwendigkeit, zumindest in den wärmeren Klimazonen.« Er zeigte auf einen Adler, der ganz in der Nähe kreiste. Als der Adler sich schließlich einen dicken Fisch aus dem Fluss angelte, applaudierte er.
    Doch bereiteten ihm seine Beine zunehmend Probleme. Ich reichte ihm meinen Arm, in den er sich dankbar einhakte. Der Ufersand war weich und tief, und mehr als einmal bat er mich, anzuhalten. Obwohl ich diese dauernden Verzögerungen überhaupt nicht gebrauchen konnte, durfte ich ihm den Grund für meine Ungeduld nicht sagen. Doch Warm kam auch von selber darauf, denn er fragte mich scherzhaft: »So ganz traust du deinem Bruder wohl nicht, oder?« Vor dem Hintergrund unserer allzu frischen Geschäftsverbindung, insbesondere aber der Tatsache, dass Charlie im Augenblick mit Warms geschwächtem Kollegen allein war, eine ernst zu nehmende Frage. Dennoch lag auf Warms Miene eher eine leise Belustigung, und er sprach über dieses Thema, als wäre es das Alltäglichste von der Welt.
    »Charlie ist schwer einzuschätzen«, bemerkte ich von der Seite.
    »Ich glaube, Morris hatte für deinen Bruder bisher nur Verachtung übrig. Bis gestern Abend, als ihr uns zu Hilfe kamt. Und heute Morgen sieht es gar so aus, als wären sie die besten Freunde. Was hältst du davon?«
    »Ich weiß nicht. Nur dass es für Charlie nicht typisch ist.«
    Warm blieb stehen, um sich am Schienbein zu kratzen. Dabei fiel mir auf, dass sich die Haut noch dunkler verfärbt hatte. Außerdem hatte sich das entzündete Areal mittlerweile bis zum Knie ausgedehnt. Wütend kratzte er daran herum, und es gab kaum eine Stelle, die nicht blutete. Dass sein Wunderelixier diese Nebenwirkung hatte, womöglich alle seine Pläne zunichtemachen konnte, war für ihn eine maßlose Enttäuschung, das sah man ihm an. Schließlich ging er dazu über, mit der flachen Hand auf seinen Unterschenkel einzuschlagen, was ihm etwas Erleichterung verschaffte. Dann zog er sein Hosenbein wieder hinunter und fragte: »Du glaubst aber nicht, dass er den guten Morris gleich umbringt, oder?«
    »Ich weiß es nicht. Wir wollen es nicht hoffen.« Er hakte sich wieder bei mir ein, und wir setzten unseren Weg fort. Ich sagte: »Ein solches Gespräch ist auch für mich neu.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich persönlich halte es immer für das Beste, Probleme offen anzusprechen. Und wir haben ein Problem, oder? Jeder weiß es. Aber was können Morris und ich schon tun? Gut, uns wäre es natürlich lieber, wenn ihr uns nicht umbringt, doch liegt das ganz bei euch. Wir sind euch ausgeliefert.«
    »Immerhin hast du vier Leute zusammengebracht, Warm.«
    Sehr ernst sagte er: »So kann man es auch sagen. Ich und ein Dandy und zwei brutale Auftragsmörder.«
    Ich musste lachen. Auf seine Frage, was daran so komisch sei, sagte ich: »Alles. Du und deine lila Beine. Morris und mein Bruder. Die verkohlten Männer im Feuer. Ich und mein Pferd Tub, das den Abhang hinabrollt. Wenn das nicht komisch ist.«
    Offenbar gefiel Warm diese Sicht der Dinge, denn er sagte: »Du hast eindeutig Sinn für die poetischen Momente des Lebens, Eli.« Dann wollte er noch etwas sehr Persönliches wissen, was ich ihm gestattete. Er sagte: »Dieselbe Frage habe ich Morris auch schon gestellt. Bei dir ist es nicht anders. Wenn man dich so ansieht, muss man sie stellen: Wie kommt es bloß, dass du für jemanden wie den Kommodore arbeitest?«
    Ich sagte: »Das ist eine lange Geschichte. Sie beginnt eigentlich mit meinem Bruder. Mein Bruder hat, dank unseres Vaters, schon früh Gewalt erlebt, und das führte später zu vielen Problemen. Eines davon war, dass er keine Grenze kannte. Jemand machte eine blöde Bemerkung, und es ging los. Aber es war nicht die übliche Schlägerei oder meinetwegen Messerstecherei, das hat ihm nie gereicht. Bei ihm ging es immer bis zum Äußersten. Bis der andere tot auf dem Boden lag. Und wie das eben so geht, wenn man jemanden tötet, es kommen immer welche, die ihn rächen wollen: Freunde, Brüder, Väter. Dann ging alles von vorn los. Nur dass die anderen oft in der Überzahl waren. An dieser

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