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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
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schiefging, wie man es sich kaum vorstellen kann. Alles danach war auf die eine oder andere Weise Tod und Untergang.

Morris wollte über den Damm zum Ufer zurück, als er strauchelte und ausgerechnet an der tiefsten Stelle des Flusses ins Wasser stürzte. Er tauchte vollkommen unter und kam nicht wieder hoch. Inzwischen war das goldene Leuchten erloschen. Mein Bruder und ich waren am Feuer und wuschen uns mit dem Wasser und der Seife, die Warm bereitgelegt hatte, die Geheimformel vom Leib. Unsere Beschwerden aus dem direkten Kontakt mit dem Teufelszeug waren zunächst minimal. Das kalte Wasser und die allgemeine Aufregung bewirkten, dass wir Warnzeichen ignorierten. Erst als das Gold nicht mehr leuchtete, spürten wir das Brennen, das nach und nach so stark wurde, dass es unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und unsere einzige Sorge wurde. Deshalb schrubbten wir uns auch wie die Besessenen Hände und Füße ab. Charlie kam dabei nur halb so schnell voran wie ich, weswegen ich ihm, als ich fertig war, zu Hilfe kam. Kaum hatte ich seine Beine gewaschen, hörte ich Morris schreien. Als ich hinsah, stürzte er bereits.
    Charlie und ich liefen ans Ufer. Etwa zur selben Zeit befand sich Warm, schwer beladen mit einem Eimer voller Gold, auf der Mitte des Damms. Hilflos starrte er auf die Wasseroberfläche, und Charlie rief ihm zu, er solle Morris’ Knüppel nehmen, der noch im Damm steckte, vielleicht konnte er Morris damit aus dem Wasser fischen. Aber das schien er gar nicht zu hören. Mit grimmig entschlossener Miene setzte er den Eimer ab, tat einen großen Schritt und sprang selbst in das vergiftete Wasser. Als er wieder auftauchte, hatte er Morris unter dem Arm. Wegen des offenen Mundes und der offenen Augen wirkte Morris wie tot, aber er atmete noch – und schluckte viel Wasser.
    Als die beiden ans Ufer krochen, liefen wir sofort hin, doch Warm rief: »Fasst uns nicht an!« Also taten wir es nicht. Keuchend und zu Tode erschöpft sanken sie in den Sand, und ich schleppte, so schnell ich konnte, den Wasserkessel herbei. Erst übergoss ich Morris, der stöhnte, dann Warm, der mir dankte. Aber damit war der Kessel schon leer, und die Männer benötigten eine intensivere Reinigung. Deshalb trugen wir sie ein Stück flussaufwärts, wo das Mittel nicht hingekommen war, und legten sie ins flache Wasser. Ich nahm die Seife, und wir knieten uns hin und wuschen sie gründlich und übergossen sie immer wieder mit Wasser, wobei wir sagten, dass alles wieder gut würde. Trotzdem klagten sie immer lauter über Schmerzen und zitterten und wanden sich in ihrer Qual, als würden sie langsam zu Tode gebracht. Ich denke, genau das geschah in diesem Moment auch.
    Dann zogen wir sie aus dem Wasser. Was von der Medizin des Zahndoktors übrig war, holte ich und strich es ihnen über Gesicht und Haare. Inzwischen hatten sich ihre Augen mit einem gräulich weißen Film überzogen, und Morris sagte, er könne nichts mehr sehen. Dann sagte auch Warm, er könne nichts mehr sehen. Morris begann zu weinen, und Warm tastete nach Morris’ Hand. So lagen sie beieinander und weinten und stöhnten und verloren immer wieder kurz das Bewusstsein. Doch jedes Mal fuhren sie schreiend wieder hoch, und alles ging von vorn los. Was mir auffiel, war, das sie im Chor schrien, als seien sie auf mehr als eine Weise im Schmerz vereint. Ich warf Charlie einen Blick zu, der in etwa bedeutete: Was sollen wir jetzt tun? Nichts, lautete seine wortlose Antwort. Womit er natürlich recht hatte. Es gab nichts, was wir für sie tun konnten, es sei denn, wir gaben ihnen den Gnadenschuss.

Morris starb noch vor Sonnenaufgang. Charlie und ich ließen ihn am Ufer liegen, trugen Warm in sein Zelt. Er war schon im Delirium, als wir ihn hinlegten, denn er sagte: »Wie viel haben wir herausgeholt, Morris? Was sagt die Uhr?« Charlie und ich machten erst gar nicht den Versuch, ihm darauf eine Antwort zu geben, sondern ließen ihn so liegen, damit er schlafen konnte – oder sterben. Der Himmel war wolkenverhangen, und wir legten uns ebenfalls hin, aber neben das Feuer. Wir schliefen bis zum Nachmittag, als es anfing zu nieseln. Ich setzte mich auf und stellte zweierlei fest. Erstens, Morris war tot. Aber nicht so, dass man noch auf die Idee käme, ihn aufzuwecken. Er war tot im Sinne von Aas, ein steifer, aschfahler, seltsam gesichtsloser Kadaver, der einem Stück Treibholz ähnlicher war als einem Menschen aus Fleisch und Blut. Zweitens, die Biber waren aus dem Wasser

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