Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
gekrochen und allesamt am Ufer krepiert, nur wenige Meter neben unserem Lager. Insgesamt eine Strecke von neun toten Bibern, die ordentlich nebeneinander im Sand lagen, was einerseits beinahe dekorativ aussah, andererseits irgendein ominöses Zeichen war, aber wofür? Sie lagen mit geschlossenen Augen auf dem Bauch, der Anführer, leicht erhöht, in der Mitte. Äußerst beunruhigend die Vorstellung, dass sie lautlos aus dem Wasser gekommen waren und sich auf mich und meinen Bruder zubewegt hatten, während wir schliefen. Was hatte ihr Biberhirn vorgehabt? Wollten sie ausschwärmen und uns angreifen? Wollten sie uns, nachdem wir sie schon mit unserer Giftbrühe auslöschten, mit in den Tod nehmen? Nur gut, dass man auf solche Fragen keine Antwort erhält.
Mir tat Morris leid. Er hatte seine Entscheidung, den Kommodore zu verlassen und sein Leben zu ändern, nicht lange überlebt. Ich fragte mich daher, ob er seinen Schritt an der Schwelle des Todes bereut hatte oder gar fand, dass er nur die gerechte Strafe erhielt für seinen Verrat? Kurz, ob er als glücklicher Mensch gestorben war oder als Enttäuschter. Das wollte ich für ihn nicht hoffen, obwohl es wahrscheinlich so war, und ich hasste den Kommodore für so viel Macht, hasste ihn mehr als je einen Menschen auf Erden. Sodass ich also einen Entschluss fasste. Dadurch wurde zwar erst einmal nichts besser, aber vielleicht eines Tages. Auf jeden Fall beendete der Entschluss meinen inneren Zwiespalt, wenn auch nicht das bittere Gefühl über das groteske Finale einer Unternehmung, die für uns alle so glanzvoll begonnen hatte.
Ich stand auf und untersuchte meine Beine. Noch beim Einschlafen, Stunden zuvor, quälte mich die Angst, dass auch meine Beine später von einem nässenden Ausschlag bedeckt sein könnten, doch nichts dergleichen war geschehen. Von den Schenkeln abwärts sah die Haut aus wie nach einem Sonnenbrand. Sie war berührungsempfindlich, und ich spürte die Hitze, doch insgesamt war mein Zustand nicht annähernd so schlimm wie der von Morris, und ich glaubte auch nicht, dass er sich noch einmal verschlechtern würde.
Charlie lag auf dem Rücken und schlief mit offenen Augen. Eine volle Erektion beulte vorn seine Hose aus – etwas, das ich einerseits gar nicht sehen wollte, andererseits als Indiz für sein Wohlbefinden betrachtete. Ich dachte: Wer weiß schon, in welchem Gewand die frohe Botschaft in unser Leben tritt? Ich zog den Hosensaum hoch und schaute nach. Das Bein sah genau so aus wie meines. Anders stand es um seine Hände. Sie waren bis zum Platzen angeschwollen. Bei diesem Anblick fühlte ich mich plötzlich furchtbar allein. Erst Morris, dann die Biber und jetzt das, vielleicht war bald überhaupt keiner mehr da. Ich wünschte, ich hätte jetzt mit Charlie reden können, hielt es aber für besser, ihn schlafen zu lassen.
Mir fiel ein, dass ich mir seit San Francisco nicht mehr die Zähne geputzt hatte. Also hockte ich mich ein Stück flussaufwärts ans Ufer und putzte gründlich von Rot nach Weiß und auch Zunge und Gaumen und spie den Schaum anschließend wie eine Schrotladung über die Wasserfläche. Auf einmal hörte ich Warms Stimme. Ich sah zum Zelt hinüber und rief zurück: »Hermann?« Dann packte ich nacheinander die toten Biber am Schwanz und schleuderte sie unterhalb des Damms ins Wasser. Sie waren schwerer, als ich gedacht hatte, und die Schwänze fühlten sich fremd an. Als seien sie nicht Teil einer Kreatur, sondern in Wahrheit von Menschen gemacht. Charlie wachte auf, als sie ins Wasser klatschten. Er verlor kein Wort über meine eigenartige Tätigkeit, sah eher gelangweilt drein. Mit der geschwollenen Hand versuchte er, eine Fliege zu vertreiben und merkte erst da, wie schmerzhaft das war. Als der letzte Biber ins Wasser geflogen war, ging ich zu ihm. Er wollte den provisorischen Verband lösen, doch der klebte fest an seinem gummiartigen Gewebe. Als er den Stoff trotzdem etwas weiter abzog, hing die Haut daran. Es schien ihm keine größeren Schmerzen zu bereiten als die, die er schon hatte, doch der Anblick ekelte und ängstigte ihn – und mich auch. Ich sagte, wir weichen den Verband vorher besser mit dem restlichen Alkohol ein, den wir noch haben, worauf er sagte, dass er damit lieber warten wolle, bis er etwas gegessen habe. Ich bereitete uns ein kleines Frühstück mit Kaffee und Bohnen. Ich wollte auch Warm etwas bringen, aber der schlief noch, und ich weckte ihn nicht. Er war von Kopf bis Fuß tiefrot
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