Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Zähne.
»Hallo, mein Freund, hast du mich vermisst?« Ich kraule ihm den Pelz, und er schmiegt seinen Kopf in meine Hand und schließt genüsslich die Augen.
Ich wende mich um und will mich bei der alten Frau entschuldigen, falls mein Affe ihr Unannehmlichkeiten bereitet hat, doch dann erkenne ich meinen Irrtum. Malik hat gesagt, ich sei älter und schmaler geworden, aber die Auswirkungen eines harten Winters in den Bergen haben dem Weißen Schwan noch mehr zugesetzt als mir. Sie ist hager, bleich und hat dunkle Ringe unter den Augen, die jetzt doppelt so groß erscheinen wie zuvor. Ihre Kleider sind in einem erbärmlichen Zustand, schmutzig und abgetragen. Ihr Körper wirkt missgestaltet. Sie starrt mich an wie eine Erscheinung.
Beunruhigt setze ich den Affen ab und knie neben ihr nieder. »Alys. Mein Gott, Alys, was ist mit Euch los?«
Ich würde es leugnen, wenn ich könnte, aber ihr Gestank wirft mich zurück. Ist das die strahlende Schönheit, die ich zurückgelassen habe, eine Frau, die so reif und duftend war wie ein Granatapfel und von der ich jede Nacht geträumt habe? Was in aller Welt könnte eine anspruchsvolle Engländerin wie Alys Swann daran hindern, mit den anderen Frauen den Hamam aufzusuchen? Nur etwas Entsetzliches, nur Angst oder Wahnsinn …
»Ich dachte, Ihr würdet nie zurückkehren.«
Ihre Stimme ist rau wie das Krächzen einer Krähe, und tatsächlich sieht sie aus wie eine Krähe, ganz in Schwarz und gebeugt. Überwältigt von Mitleid vergesse ich, dass jeden Augenblick jemand zwischen den Zelten auftauchen und uns sehen könnte, und ziehe sie an mich. Ich halte sie fest, trotz des Gestanks, und vergrabe das Gesicht in ihrem einstmals goldenen Haar. Plötzlich regt sich etwas zwischen uns und fängt an zu weinen. Ich schaue hinab und sehe, dass Alys das Baby an der Brust trägt. Gebieterisch reckt es sein Fäustchen, und das kleine Gesicht sieht aus wie ein Knäuel von Energie und Hunger. Als sie sich von mir entfernt, um das Kind zu stillen, durchzuckt mich ein scharfer Schmerz. Alles nur dafür: Sklaverei, Erniedrigung, Gefangenschaft, Abfall vom Glauben und jetzt auch noch Wahnsinn. Und doch ist sich das Kind selbst auf wunderbare, egoistische Art des Opfers seiner Mutter gar nicht bewusst. Es ist ein gieriges kleines Ding und scheint ewig zu brauchen, um satt zu werden, als saugte es das letzte Stückchen Menschlichkeit aus ihr heraus, bis nichts mehr übrig ist als eine fleischliche Hülle. Vielleicht hat Makarim recht: Vielleicht haben djenoun Alys geholt …
Ich beuge mich über den Topf, der auf der Kohlenpfanne steht – eine dünnflüssige, farblose Brühe mit Gemüse und ein paar Hühnerknochen ohne jedes erkennbare Gewürz. Ich rühre darin, während mir die Gedanken durch den Kopf wirbeln. Auf der Suche nach einem letzten Rest von Normalität sage ich: »Sagt mir, Alys, wie habt Ihr Euer Baby genannt?« Und merke im gleichen Augenblick, dass ich nicht einmal nach seinem Geschlecht gefragt habe.
Sie sieht auf, und ihr Blick ist von Liebe erfüllt, aber nicht für mich. »Er heißt Momo, eine Abkürzung für Mohammed; Mohammed James, ein Name für seine neue Familie und einer für die alte. Ist er nicht süß?«
Alles, was ich sehen kann, sind eine Masse von hellem Haar und ein entschlossenes Mündchen. Ich nicke unverbindlich, ein Junge also. Ismail wird zufrieden sein. »Erzählt mir, was geschehen ist, dass Ihr in einer solchen … Verfassung seid«, dränge ich sie. »Hat Zidana Euch vertrieben?« Mein Trick mit der Tuaregfrau hat offenbar nicht funktioniert.
Sie lacht, und es klingt wie eine rostige Türangel. »Zidana, ach ja, letztlich geht alles auf sie zurück. Aber nicht nur sie. Es ist eine gottlose Verschwörung gegen mich im Gang. Ihr würdet nicht glauben, was sie getan haben …«
Es ist, als hätte jemand einen Stöpsel gezogen. Die Worte strömen wie ein Wasserfall aus ihr heraus. Hastig erzählt sie, wie man ihr Momo gestohlen und sie um sein Leben gefürchtet hat und dass sie diese letzten Wochen in einem entsetzlichen Schwebezustand verbrachte, weder im Harem noch außerhalb, vor allen fremden Blicken verborgen. Das Kind trägt sie immer vor der Brust, und ihr Schlaf ist unruhig, weil sie aufrecht sitzen muss, so wie ich sie eben gefunden habe. »Auf diese Weise können sie uns nicht so schnell trennen, wenn sie mich überraschen«, erklärt sie. Nachts, wenn alle anderen schlafen, wandert sie durch das Lager und sammelt irgendwelche Essensreste
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