Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
über den Punkt hinaus, an dem ich keinen Hunger mehr habe.
»Nun, wie schmeckt dir das erste richtige Essen nach all den Wochen, Nus-Nus?«
Ismail ist ungewöhnlich fürsorglich, als wir das tägliche Theater des Vorkostens durchspielen. Ich habe mich in der Küche komplett vergessen. Mein Bauch fühlt sich an, als wollte er jeden Augenblick ein Kind aus Kürbis und Couscous in die Welt setzen, mit hellbraunen Kichererbsen als Knopfaugen. Ich muss mich anstrengen, um nicht zu rülpsen, während ich mir den nächsten Löffel reinzwänge. Ich schlucke und lächele, schlucke und lächele. Ich heuchele Entzücken, gebe angemessen anerkennende Grunzlaute von mir, und kaum wird das Gericht für ungefährlich für den Sultan erklärt und ich entlassen, muss ich mich in einen Eimer übergeben. Maliks ganze Kunst umsonst.
Am nächsten Tag besucht der Sultan seinen Harem. Zuerst macht er Zidana seine Aufwartung, die vor Schreck aufschreit, als sie sieht, wie dünn er geworden ist.
»Die djenoun haben dir das Fleisch gestohlen! Bestimmt hat dich jemand verflucht.«
Ismail schert sich nicht um die djenoun . »Ich glaube, du hast es selbst gestohlen«, sagt er und gibt ihr einen Klaps auf den immer breiteren Hintern. Die Herrscherin ist von diesem Bruch des Protokolls so überrascht, dass sie nichts sagt, lässt sich jedoch von ihm in seine neuen Gemächer führen, um die Erste zu sein, die in dem neuen Kapitel seines Diwanbuchs verzeichnet wird.
Das verschafft mir die Gelegenheit, auf die ich gewartet habe. Ich sage dem Haremswächter am Tor, dass ich gekommen sei, um meinen Affen abzuholen, und er winkt mich mit einem wissenden Lächeln durch. Sein Gesichtsausdruck gefällt mir nicht. Im Innern des Harems tut sich ein neues Problem auf: Es gibt keine Spur von Alys. Ich spreche eine Haremssklavin darauf an. »Ich weiß es auch nicht, sie ist überall und nirgends«, sagt die Kleine verärgert. »Verschwende nicht deine Zeit mit ihr.«
Eine andere meint: »Der Weiße Schwan? Dass ich nicht lache!« Und geht weiter, als hätte ich nach dem Aufenthaltsort eines Einhorns oder eines Phönix gefragt.
Dann entdecke ich Makarim, Alys’ Sklavin. Als sie mich kommen sieht, versucht sie, mir auszuweichen, aber ich versperre ihr den Weg. »Wo ist die Engländerin?«
Ihr Lächeln ist spöttisch. »Die djenoun haben sie mitgenommen.«
Ich packe sie am Arm. »Was soll das heißen? Wo ist sie?«
Sie will sich losreißen, doch mittlerweile bin ich verzweifelt. Ich schüttele sie unsanft.
Makarim kreischt auf. »Lass die Finger von mir! Sonst schreie ich, und die Wachen schlagen dir den Kopf ab.«
»Wo ist Alys? Ich weiß, dass du es weißt!«
»Und wenn schon? Sie ist verrückt, und du bist kastriert. Sie hat keinen Verstand und du keine Eier, schert euch beide zum Teufel!«
Das ist nicht die folgsame Sklavin, in deren Obhut ich Alys zurückgelassen habe. Im Machtgleichgewicht des Harems hat sich etwas verändert. Meine Finger bohren sich in das zarte Fleisch ihres Oberarms: Plötzlich habe ich das Verlangen, ihr wehzutun. Als ahnte sie es, befreit sie sich mit einem heftigen Ruck. Doch statt wegzulaufen, tritt sie zwei Schritte zurück und sieht mich nur an. Irgendetwas in ihrem Ausdruck verstärkt mein Gefühl, dass sie zu viel weiß, ihr Blick hat etwas Kühnes, Ausgelassenes und Triumphierendes. Sie inspiziert die dunklen Verfärbungen auf ihrem Arm und erhebt dann den Blick zu mir. Ihre Augen sind hart und funkeln.
»Das wirst du mir büßen, Eunuch«, faucht sie wie eine kleine Katze und rennt davon.
Ich will ihr nachlaufen, doch wozu? Sie wird nur einen Aufstand machen und nach den Wachen schreien, um ihnen die blauen Flecken zu zeigen. Ich wende mich ab, um meine Suche fortzusetzen, laufe hierhin und dorthin, stecke den Kopf in Zelte und spüre, wie meine Panik wächst.
Zuletzt stoße ich eher zufällig auf einen seltsamen, improvisierten Verschlag am Rand des Harems, wo eine alte Frau sitzt. Sie trägt ein dunkles Tuch über dem Kopf und beugt sich über einen Topf mit Suppe, der auf einer Kohlenpfanne steht. »Guten Tag«, sage ich, und sie fährt zusammen, als hätte ich sie erschreckt. Ich will sie gerade fragen, ob sie weiß, wo ich die englische Kurtisane finden kann, als etwas aus dem Verschlag herausschießt und wild schnatternd auf mich zurast. Ich spüre kalte Krallen auf der Haut, und dann sitzt Amadou auf meiner Schulter, beugt sein Affengesicht zu mir herunter und bleckt seine erschreckend gelben
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