Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
die Lanze in die Seite. »Ist das wahr?«
»Ja, aber …«
Der Sultan lächelt und reicht die Lanze seiner Frau zurück. Es ist ein gütiges, beinahe herzliches Lächeln. »Hör auf zu winseln und steh auf, Mann. Hier, nimm meine Hand …«
Abdelaziz ergreift die ausgestreckte Hand und richtet sich ungeschickt auf; dann steht er auf wackligen Beinen da und wirkt plötzlich wieder zuversichtlich, dass ihre lange, brüderliche Verbindung trotz allem bestehen bleiben kann. Schließlich war es bislang immer so.
Ismail aber lässt ihn nicht los, sondern umklammert sein Handgelenk noch fester und zieht es näher an seine Augen. »Das ist ein hübscher Ring, den du da trägst, Abdou, ein edler Stein. Darf ich ihn mir mal genauer ansehen?«
Der Wesir versucht, seine Hand aus Ismails Griff zu befreien, doch die Finger des Sultans sind wie aus Eisen. Er zieht den Ring bis zum Knöchel, wo er stecken bleibt. Ein unwürdiger Kampf beginnt, wobei der Wesir abwechselnd vor Schmerz aufschreit und anbietet, ihn selbst abzustreifen, wenn der gnädige Herrscher die Güte hätte, es ihm zu gestatten. Eine Sekunde später folgt ein schriller Schrei, und der hajib umklammert seine Hand. Blut spritzt zwischen seinen Fingern hervor. Ismail wischt den Dolch an seinem Gewand ab, zieht den Ring ab und wirft den ungebührlichen Finger zu Boden, wo eine der Katzen ihn neugierig beschnuppert und ihm dann einen Stoß mit der Pfote versetzt. Als der Finger nicht mit ihr spielen will, wendet sie sich verächtlich ab, setzt sich und streckt das Bein in die Höhe, um sich ausgiebig zu putzen.
»Ich glaube, dass ich den Stein wiedererkenne, Abdou. Es ist einer von mehreren, die mir der Gouverneur von Herat geschenkt hat, Lapislazuli, in Gold aus dem afghanischen Pamir gefasst. Doch ehe du mir eine Entschuldigung anbietest, möchte ich sagen, dass es mich nicht überrascht.« Er beugt sich dichter an den Großwesir heran. »Glaubst du etwa, ich wüsste nicht alles, was es über dich zu wissen gibt, Abdou?« Die Koseform des Namens wirkt jetzt geradezu bedrohlich. »Glaubst du wirklich, ich schickte meine Männer nur wegen der Anschuldigungen meiner ersten Frau hinter dir her? All die Jahre sind mir deine absonderlichen Neigungen nicht verborgen geblieben, doch ich beschloss, sie zu ignorieren, solange deine Nützlichkeit größer war als deine Raffgier und deine Ambitionen. Ich glaube, dass dieses Gleichgewicht jetzt endgültig gekippt ist, und zwar zu deinen Ungunsten. Ich weiß, dass du dich seit vielen Jahren an meiner Schatzkammer vergreifst. Es hat mich belustigt, deshalb habe ich es durchgehen lassen. Doch während meiner Abwesenheit hat deine Gier offensichtlich alle Grenzen überschritten. Versuch bloß nicht, es zu leugnen. Ich habe al-Attar nach unserer Rückkehr eine volle Inventur machen lassen. Es gab, sagen wir es mal so, erhebliche Abweichungen …«
Jetzt beginnt der hajib zu winseln. In seiner Panik bringt er keinen vernünftigen Satz mehr zu Stande.
»Und wir hätten vielleicht sogar bei diesem Diebstahl ein Auge zugedrückt, wenn du nicht so eitel und ehrgeizig gewesen und in meiner Abwesenheit dermaßen schamlos übers Ziel hinausgeschossen wärest. Es gibt nur einen Herrscher in Marokko, und sein Name lautet Abul Nasir Moulay Ismail as-Samin ben Sharif.« Mit seinem juwelenbesetzten Dolch versetzt er dem hajib bei jedem Namen einen etwas stärkeren Stoß. »Niemand außer mir erklärt ein Kind zu meinem legitimen Sohn und zeichnet es mit meinem eigenen Siegel aus. Die Thronfolge in meinem Reich geht dich nichts an, du Wurm! Die Herrscherin Zidana hat mir bereits gezeigt, wie dein Neffe auf deinen Befehl hin an meinem Diwanbuch herumgepfuscht hat. Deine Strafe hat also eine lange Vorgeschichte.«
Ich starre erst ihn, dann sie an. Sie hatte mir versprochen, Ismail nichts zu sagen, und Schwäche vorgetäuscht: Lügen, alles Lügen. Sie kreuzt meinen Blick und schenkt mir das träge Lächeln einer zufriedenen Schlange. Es ist ein altes Spiel, das sie hier treibt. Sie plant einen vorsichtigen Zug nach dem anderen, immer den aktuellen Vorteil im Blick, träufelt ihrem Mann Gift ins Ohr, Tropfen für Tropfen, und zieht ihren Körper so langsam zusammen, bis sie sicher ist, dass ihr Gegner nicht mehr zubeißen kann.
Ismail befiehlt ben Hadou und dem Anführer der bukhari , Abdelaziz mit den Füßen an die Hinterbeine eines Maultiers zu fesseln, das dann über den rauen Boden nach Westen getrieben werden soll: »Ich werde mein
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