Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Verwirrung wich, doch als er zum zweiten Mal vor dem Sultan stand, hatte er bereits eine gewisse Leichtigkeit zurückgewonnen und stürzte sich sogleich in die Details der Arbeiten, die im großen Palast von Ludwig XIV. ausgeführt wurden.
Offenbar plante der Architekt des Sonnenkönigs einen märchenhaften Spiegelsaal im Herzen von Versailles. Er bestand aus einem weitläufigen Raum mit siebzehn Bogenfenstern, die auf den herrlichen Park hinausgingen, und siebzehn gewaltigen Spiegeln, die ihnen auf der Innenwand gegenüberstanden. Auf diese Weise reflektierte das Licht, das in den Saal hineinfiel, die Wunder der Gartenanlage in den Spiegeln und gab dem Besucher das Gefühl, durch eine grüne Sphäre zu wandeln, während er sich in Wirklichkeit im Schutz von Marmor und Gold befand. Der Händler ließ sich so ausführlich über die unglaublichen Kosten des venezianischen Glases aus, das für die Spiegel benutzt werden sollte, über die Vergoldung der Rahmen und die Kapitelle der hohen Säulen, die sie begrenzten, dass Ismail vor lauter Neid und Ehrgeiz beinahe platzte.
So kehrten wir unversehens nach Meknès zurück, erfüllt von wilden Plänen für Parkanlagen und Spiegelgalerien, Reitwege, Obstgärten und Olivenhaine, bis hin zu einem Teich mit Goldfischen und einer Flotte von Vergnügungsbooten, die über ihre Köpfe hinwegfuhren.
Doch das Meknès, in das wir zurückkamen, war nicht dasselbe wie vorher. Es war so gut wie verlassen. Hier und in Fès hatte die Pest mehr als fünfundachtzigtausend Menschenleben gefordert, und noch mehr hatten sich in abgelegene Teile des Reiches geflüchtet. Die Bauarbeiten standen still; viele Aufseher, Handwerker und Künstler waren tot oder weggezogen, nur die überlebenden Sklaven wirkten erstaunlich gesund. Offenbar waren die unterirdischen Verliese die sichersten Orte gewesen, an denen man sich hatte aufhalten können.
Die nächsten zwei Jahre widmete sich Ismail mit dem Eifer eines Besessenen erneut seinem Bauprojekt. Im ganzen Land ließ er die prächtigen Verzierungen in den Palästen entfernen – das Blattgold an Wänden und Decken, die kunstvoll gearbeiteten Friese und Türen aus Zedernholz. Er bestellte Schiffsladungen von feinstem Marmor aus Carrara, die von Genua nach Salé transportiert werden mussten. Dann schickte er eine Mannschaft von Gutachtern zu den Ruinen im Westen der Stadt, mit dem Befehl, alles zu notieren, was sich zur Dekoration oder zu anderen Zwecken für seinen Palast in Meknès verwenden ließe.
Ich bin damit beauftragt worden, die Anlage für Ismail zu katalogisieren, zweifellos damit die anderen keine Wertsachen unterschlagen, bevor er selbst Zugriff darauf hat.
»Bring mir einen Stein deiner Wahl mit«, sagt er und reicht mir ein feines Stück Seide, in das ich ihn einwickeln kann.
Ich folge dem Befehl zögernd, wie ich gern zugeben will, denn die Sonne brennt erbarmungslos auf die Erde nieder. Große Erwartungen hatte ich nicht. Doch es ist eine erstaunliche Stätte. Sie erhebt sich auf einer Hochebene, von der aus sie alles beherrscht. Schon aus vielen Meilen Entfernung kann man sie sehen, und ihre Größe wird mit jedem Schritt beeindruckender. In den Schatten unter ihrem Triumphbogen sehe ich zum Himmel empor. Diese Anlage muss von einer Riesenrasse gebaut worden sein, denn sie ist noch höher als das Minarett der Großen Moschee, und ihre Quader sind so massiv, dass man sich nicht vorstellen kann, wie sterbliche Menschen sie bewegt haben sollen. Stundenlang wandere ich zwischen den offenen Säulen umher, deren phantastisch und schwungvoll gemeißelte Kapitelle dermaßen gut erhalten sind, als wären sie erst gestern fertig gestellt worden. Ich weiß nicht, ob ich aufsehen und über ihre Höhe staunen oder auf den Erdboden zu meinen Füßen blicken soll, der mit Millionen von winzigen farbigen Steinchen bedeckt ist, ebenso kompliziert gearbeitet wie die Kacheln unserer besten zellij -Meister. Allerdings zeigen sie nicht nur abstrakte Muster, sondern lebendige Szenen. Ich stoße auf ein Mosaik mit Fabelwesen, die im Meer schwimmen, dann auf das eines Mannes, der verkehrt herum auf einem Pferd sitzt und irgendwelche akrobatischen Kunststücke vollführt; ich sehe lange Gänge mit Umrissen von tanzenden und trinkenden Gestalten, eine völlig nackte Frau am Rand eines Wasserbeckens, flankiert von zwei ebenso üppigen Dienerinnen. In diesem Volubilis muss es hoch hergegangen sein, denke ich, und sein König war bestimmt ein Lüstling. Ich
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