Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
das weiß er bereits von seinen Spähern. Der Gesandte selbst befindet sich in Tanger; aufgehalten ist nur sein Schiff, beladen mit Geschenken des englischen Königs, um den Sultan zu besänftigen, denn es ist schlicht undenkbar, dass ein fremder Gesandter mit leeren Händen an Ismails Hof erscheint. Und der Grund für die Verspätung? Die Franzosen blockieren Salé und das Meer westlich von Tanger aus Protest gegen die große Zahl ihrer Landsleute, die von Sidi Qasems Korsaren gefangen genommen werden. Ismails Wunsch, Meknès zu vollenden, hat immer mehr Sklavenarbeit erfordert: Der alte Korsarenanführer und seine Flotte hatten alle Hände voll zu tun, um die Forderungen des Sultans zu erfüllen.
Ismails Blick schweift abschätzend über den Besucher, bildet sich ein Urteil und verwirft ihn. Sein Lächeln wird unberechenbar, sein Blick schärfer. Trotzdem gibt er sich äußerst charmant und akzeptiert die Entschuldigung des Mannes mit Anstand und Nachsicht. Als der andere nervös auf die Freilassung englischer Gefangener zu sprechen kommt, schnippt der Sultan mit den Fingern und schickt als Geste des guten Willens zwei bukhari los, um vier oder fünf schwache und nutzlose Sklaven herbeizuschaffen. Die armen Teufel kommen blinzelnd aus ihren Verliesen und werden Kirke übergeben, der sich erleichtert zeigt und dem Sultan überschwänglich dankt. Er nennt ihn Herrscher und Höchster, als hätte er nie etwas anderes getan, als auf wahrhaft orientalische Art jemandem Honig ums Maul zu schmieren. Gleichzeitig wirkt er so verblüfft über die Leichtigkeit, mit der er die Freiheit dieser Männer erwirkt hat, dass er sein eigentliches Anliegen aus dem Auge verliert, nämlich noch zweihundert weitere Gefangene frei zu bekommen. Während dieses erbärmlichen Theaters fange ich ben Hadous Blick auf, und er hebt eine Braue, als wollte er sagen: Mehr hat England nicht zu bieten?
Die nächsten zwei Tage spielt Ismail den großzügigen Gastgeber. Er nimmt den Engländer und einige seiner Begleiter mit auf die Jagd nach Wildschweinen und Antilopen in den Bergen außerhalb von Meknès, und anschließend wird die Beute für ein spektakuläres Fest geröstet. Während die Ungläubigen sich nicht zu schade sind, Wildschwein zu verzehren, das bei den Muselmanen als unrein gilt, isst der Sultan in seine Gemächer zurückgezogen sein Lieblingscouscous mit Kichererbsen und nur ein kleines Stück Wildbret. Die Engländer greifen zu: Fleisch, Gewürzwein und den mit kif angereicherten Tabak in Wasserpfeifen, die wir fleißig unter ihnen herumgehen lassen. Am folgenden Morgen sind sie noch immer benebelt, und jetzt werden die Gespräche wieder aufgenommen.
Auf dem Weg zu den Orangenhainen spricht Kirke das Thema Waffenstillstand in Tanger an. Ich übersetze. Ismail lächelt breit und verspricht, keinen Schuss gegen Tanger abzugeben, solange Kirke sich dort aufhält. Das ist nichts weiter als ein leeres Versprechen, denn Ungläubigen gegenüber fühlt Ismail sich nicht an sein Wort gebunden. Doch das weiß der Engländer nicht. Er wirft sich in die Brust wie ein Pfau und glaubt, nur seinem Geschick als großer Diplomat sei es zu verdanken, dass er den furchterregendsten aller Feinde für sich eingenommen hat.
Im Garten werden weitere Erfrischungen gereicht, Minztee für den Sultan, jede Menge Hypocras für den Engländer. Die Früchte und Gewürze des Weins überlagern seinen starken Anteil an hochprozentigem Brandy. Der Engländer trinkt ihn lächelnd, zweifellos aus Höflichkeit gegenüber seinem Gastgeber, obwohl ich gehört habe, dass die Engländer es gewohnt sind, dem Alkohol zuzusprechen. Beim Abschied macht mein Herr eine ausholende Gebärde. »Nun, mein lieber Kirke, seht Euch um. Als englischer Aristokrat, der die besten Dinge im Leben gewohnt ist, was haltet Ihr von dem Palast, den ich hier baue?«
Kirke ist geschmeichelt, dass man ihn für einen Adligen hält, und überschüttet Ismail mit Lob. Offenbar ist der Palast prächtiger als alles, was er je in London gesehen hat. Allerhöchstens der neue Palast des französischen Königs in Versailles, den er allerdings nur vom Hörensagen kennt, lasse sich mit ihm messen.
Als Ismails Gesicht sich verfinstert, setzt Kirke rasch hinzu: »Aber natürlich haben die Franzosen keinen Geschmack. Potztausend, nicht mal einen Funken von Geschmack, mein Herr! Alles nur Firlefanz und Tand, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Nicht wie hier …« Er breitet die Arme aus und deutet
Weitere Kostenlose Bücher