Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Momo schwanger war. Endlich werde ich Mutter, dachte ich, und alles wird gut. Ein Baby verändert die ganze Welt. Ich hatte recht, allerdings anders, als ich glaubte.
In den Höhlen des Schädels verborgen, beobachten meine Augen die Welt. Ich sehe, wie die Haremsfrauen sich ihren täglichen Gebeten, dem Klatsch, den Hennamustern und dem Herausputzen widmen, als wären sie die reizendsten Wesen der Welt, harmlos und charmant. Doch inzwischen weiß ich es besser. Ich habe gesehen, was unter dem Khol und dem Schlamm, der Seide und dem Satin, dem Parfüm und den Salben lauert. Darunter ist alles faul und vergiftet, in der Gewalt des Bösen.
Und dieses Böse hat einen Namen: Zidana.
Der Harem gehört ihr: Er ist ihr Reich, und sie führt eine Schreckensherrschaft. Wenn andere davon wissen, so lassen sie sich nichts anmerken. Alle singen und schwatzen und schwirren um sie herum wie Bienen um ihre Königin. Doch unser Bienenstock bringt keinen Honig hervor, sondern pures Gift. Wer Zidana widerspricht, wird zu ihrer Feindin erklärt und damit auch zur Feindin aller anderen Frauen hier. Sie spotten, sie piesacken, sie ignorieren dich; sie spielen böse Streiche und verbreiten boshafte Gerüchte; sie lassen dir nur das angefaulte Obst und das harte Brot von den täglichen Mahlzeiten übrig, sie spucken in deinen Teekessel und übergießen dich im Hamam mit kochendem Wasser.
Vermutlich habe ich noch Glück, dass sie sich nicht mehr trauen, obgleich ich glaube, dass meine Anfälle von Übelkeit keine natürliche Ursache hatten, sondern auf Zidanas Kräuter und Pülverchen zurückgehen. Doch wie soll ich das beweisen? Und wer würde meinen Beschwerden Gehör schenken, wenn ich sie äußern wollte? Mir kommt es vor, als wäre Ismail ebenso in ihrer Gewalt wie jeder andere hier. Man kann sich kaum vorstellen, dass ein so Furcht einflößender Mann vor jemandem Angst haben kann, aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er zusammenfuhr, als er ihre Stimme hörte, und ich habe auch den Ausdruck in seinen Augen gesehen, wenn sie ihn berührt. Ist es Magie, mit der sie seine Aufmerksamkeit aufrechterhält? Die Überzeugung, dass Hexerei im Spiel sein könnte, widerspricht allem, woran ich als gute Christin einmal glaubte, aber es ist schwer, sie in einer Welt zu ignorieren, die bis ins Mark von Aberglauben durchdrungen ist.
Magie prägt dieses Land. Sie fließt unter der Oberfläche der Dinge dahin wie ein unterirdischer Fluss, steigt in heimtückischen Blasen auf und zersetzt das Fundament des Lebens. Die Menschen akzeptieren sie als Teil des Lebens. Unablässig sind die Frauen im Harem damit beschäftigt, die Dämonen zu beschwichtigen, die sie djenoun nennen. Sie bringen ihnen etwas zu essen als Opfergabe oder halten sie mit Khol und Salz fern. Sie glauben, dass sich Zidana im Bruchteil einer Sekunde von hier nach da versetzen kann, und Zidana nährt diesen Glauben. Sie brüstet sich damit, dass sie sich in Tiere oder Vögel verwandeln kann, damit keiner es wagt, etwas gegen sie auszuhecken, aus lauter Angst, sie könnte ihm in Gestalt eines Geckos an der Wand, einer vorbeischleichenden Katze oder einer Taube auf dem Dach belauschen. Es stimmt, dass sie alles zu wissen scheint, was in den verborgensten Winkeln dieses Palastes geschieht, doch daran ist nichts Geheimnisvolles. Nus-Nus hat mir erzählt, dass sie ihre Spitzel überall hat und sie gut bezahlt.
Und deshalb bin ich wachsam, um meinetwillen, vor allem aber um Momos willen. Zidanas Söhne stehen in der Thronfolge weit über ihm, doch das hindert sie nicht daran, andere aus schierer Boshaftigkeit aus dem Weg zu räumen.
Ob ich mir meinen Verdacht anmerken lasse? Nein, ich lächle süß und wünsche ihnen den Frieden Gottes. Ich senke den Blick auf meine im Schoß verschlungenen Hände, die Hände einer alten Frau: dünne, geäderte Krallen. Meine Nägel sind lang und scharf, für den Fall, dass es die einzige Waffe ist, die ich gegen meinen Feind habe. Ich lese, bete und lasse Momo nicht aus den Augen. Das ist nicht immer leicht; er ist ein aufgewecktes Kerlchen, entschlossen und groß für sein Alter. Es dauerte nicht lange, bis er die Windeln abstreifte, seine Wiege verließ und dann auch unsere Gemächer. Nur ein kurzer Augenblick der Ablenkung, und schon war er weg. Ich habe noch nie ein Baby gesehen, das so schnell krabbeln konnte wie er! Manchmal hätte ich ihn am liebsten an die Leine gelegt, um ihn aus allem herauszuziehen, was er gerade wieder anstellte.
Weitere Kostenlose Bücher