Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
ich mich tief über meine Schreibschatulle und schließe verzweifelt die Augen. Diese Engländer sind solche Tollpatsche! Wissen sie denn nicht, wie unhöflich es ist, sich einem so heiklen Thema buchstäblich wie ein Elefant im Porzellanladen zu nähern?
Doch Ismail wirkt eher belustigt. »Ich habe tausend Frauen in meinen Privatgemächern«, brüstet er sich. »Sie stammen aus allen Teilen der Welt. Es gibt welche aus Frankreich, aus Spanien, Italien, Griechenland und der Türkei, Frauen aus Russland und China, aus Indien und der Küste von Neufundland. Aus dem Urwald von Guinea und Brasilien, den Häfen von Irland und Island. Und Ihr wollt eine einzelne Engländerin herausholen?«
»Sie ist meine Landsmännin, und man hat mir gesagt, ihr Vater sei ein überzeugter Anhänger des verstorbenen Vaters unseres Königs gewesen. Ich bin sicher, dass unser Herrscher sehr dankbar wäre, wenn Ihr sie uns zurückgebt.«
Ismail zuckt nicht mit der Wimper. »Dankbarkeit kostet nichts. Doch der Weiße Schwan … ah, der Weiße Schwan ist unbezahlbar. Und selbst wenn wir uns auf eine Summe einigen könnten – was natürlich ausgeschlossen ist, weil sie mir viel zu viel bedeutet –, ist die Dame selbst mittlerweile zum wahren Glauben übergetreten und würde weder ihr kleines Paradies hier noch ihr Kind freiwillig verlassen. Unser gemeinsamer Sohn Mohammed ist in diesem seinem Land einer der potenziellen Thronfolger. Ohne meine Zustimmung kann er nirgendwohin.«
»Ich … verstehe.« Der Gesandte ist verlegen und wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Nun, damit wären wir erneut beim Thema männliche Gefangene …«
Der Sultan schwenkt die Hand; die Sache langweilt ihn. »Komm, Nus-Nus.« Er wendet dem Engländer den Rücken zu, eine unverzeihliche Beleidigung, und geht ohne ein weiteres Wort davon.
Am nächsten Tag reisen Sir James Leslie und sein Gefolge ab. Ich gehöre zu den Abgesandten, die ihn hoch zu Ross bis zur Straße nach Norden begleiten. So wie auch Samir Rafik. Es ist schwer zu sagen, wer hier wen bespitzelt. Obgleich der Mann aus Tafraout wenig oder gar kein Englisch spricht, entgeht es mir nicht, dass er mich, ben Hadou, Kaid Omar und den Gesandten beobachtet, sobald einer von uns den Mund aufmacht.
Sir James behandelt mich abweisend und weicht meinem Blick aus. Vermutlich gibt er mir die Schuld an dem peinlichen Vorfall von gestern. Als ich mich auf englische Art mit einem Händedruck von ihm verabschiede, frage ich, ob er die Angelegenheit weiterverfolgen wird, wenn er nach England zurückkehrt, doch er antwortet lediglich: »Dieses Kapitel ist abgeschlossen.« Anschließend lenkt er sein Pferd in die andere Richtung, um sich formell auch vom Kaid und von al-Attar zu verabschieden.
»Worum ging es da eben?«, fragt Samir, und sein Gesicht strahlt vor Neugier.
Ich verberge meine Enttäuschung. »Das geht dich nichts an«, antworte ich knapp.
»Er wird weder Euch noch Momo gehen lassen«, erzähle ich dem Weißen Schwan, als ich einen Anlass gefunden habe, den Harem zu besuchen. »Es tut mir leid, Alys, ich habe es versucht.«
Tränen schießen ihr in die mit Khol umrandeten Augen. Einen Moment steigen sie an, dann rinnen sie über die Wangen. Sie wischt sie ärgerlich fort, als betröge ihr Körper sie ebenso wie der Rest der Welt. Ein schwarzer Streifen verunstaltet das vollkommene Gesicht. Am liebsten würde ich die Hand ausstrecken und ihre Wange umfangen, doch Alys ist zu gereizt.
»Verdammt! Verdammt! Verdammte Männer!« Sie blickt auf. »Vergebt mir, Nus-Nus. Ich meine nicht Euch.«
Ich weiß nicht, was schlimmer ist: in die allgemeine Kategorie Männer eingeschlossen oder von ihr ausgeschlossen zu sein.
ACHTUNDZWANZIG
Alys
S eit Wochen leidet Momo an entsetzlichen Alpträumen; zwei Mal habe ich ihn schlafwandelnd vorgefunden. Letzte Nacht stand er mitten im Hof.
Als der französische König noch klein war, bastelte ein Handwerker namens Camus ihm eine winzige Kutsche mit Pferden, Lakaien, Knappen und einem weiblichen Passagier, und all diese Figuren konnten sich vollkommen naturgetreu bewegen. Als ich Momo beim Namen rief und er sich mit dem Licht des Mondes in den Augen zu mir umdrehte, sah er genauso aus wie eine dieser genialen Erfindungen: die perfekte Nachbildung eines Menschen, aber seelenlos, tot und leer im Innern.
»Momo!«, rief ich leise. »Was machst du da?«
Er antwortete wie ein Automat. »Ich muss bereit sein.«
»Bereit wozu?«
»Er kommt, um mich zu
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