Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
ich den Konvertiten Hamza beiläufig nach Rafik. Er wirft mir einen eiskalten Blick zu und zuckt die Achseln. »Keine Ahnung.«
Während ich die Treppe vom Vorderdeck hinabsteige, sehe ich, wie Rafik über das Hauptdeck torkelt, als wehrten sich seine Beine gegen den Rhythmus des Schiffes. Er schafft es bis zur Reling und klammert sich an die Brüstung, das Gesicht ist kreidebleich. Ich wünsche ihm fröhlich einen guten Tag und stelle mich neben ihn, aber auf der Windseite. »Herrlich, dieses weite Meer, nicht wahr?«
Er wirft mir einen hasserfüllten Blick zu und schweigt.
»Dieses Auf und Ab nach jeder Welle, wie auf einem lebenden Wesen …«
»Halt die Klappe!«
»Und unser kleines Schiff schwimmt darin wie ein Stück Korken in einem Teich, wird hin und her geworfen, hebt und senkt sich unablässig. Dabei sind wir so winzig, es ist ein Wunder, dass wir das überhaupt überleben, jeder Einzelne von uns.«
Er schließt die Augen und stöhnt.
»Die Seekrankheit ist ein Fluch, was? Ich könnte dir etwas gegen den Schwindel geben. Ich habe eine Kiste mit Gewürzen und Pülverchen unten im Laderaum. Kreuzkümmel soll helfen, heißt es, vor allem, wenn man ihn mit Hammelfett mischt …«
»Verschwinde, du schwarzer Hurensohn!« Er lehnt sich über die Reling und erbricht ein armseliges Rinnsal Galle in das aufgewühlte Meer.
»Ich wollte nur behilflich sein«, entgegne ich und spiele den Gekränkten.
Die letzten drei Tage unserer Reise verlaufen ohne besondere Vorkommnisse. Die meiste Zeit verbringe ich damit, hinter der verschlossenen Tür meiner Kajüte Momo leise Geschichten zu erzählen. Seine Lieblingsgeschichte ist die von Ali Baba und den vierzig Räubern, und ich muss sie so oft wiederholen, bis ich sie nicht mehr hören kann. Unsere Überfahrt war von gutem Wetter und günstigen Winden gesegnet, was in dieser Jahreszeit selten der Fall ist. Ich fasse es als ein gutes Omen auf und bin voller Zuversicht, was unser Wagnis betrifft.
Als wir am Horizont ein dunkles Stück Land sehen, bleibt mir fast das Herz stehen. England! Das Land, aus dem Alys’ Vorfahren kommen und von dem Doktor Lewis so viel erzählt hat. Er beschrieb die Gebiete südlich der großen Stadt als einen von Flüssen, Bächen und dichten Wäldern durchzogenen grünen Garten, voller Blumen und üppiger Felder mit einer sanften Sonne und einem feinen Regen. Seitdem habe ich immer wieder davon geträumt. Und jetzt brenne ich darauf, den Traum mit der Realität zu vergleichen. Doch die tief liegende, zum größten Teil unscheinbare Küstenlinie, an der wir entlangsegeln, wirkt mit ihren dumpfen und trüben Farben nicht gerade aufregend. Wir kommen an einer großen Geröllbank vorbei, in der die Brandung kleine Rinnsale hinterlässt, und steuern auf einen weiten Ankerplatz zu. Die englischen Matrosen erklären mir, es seien die Downs vor der Hafenstadt Deal. Wir legen am Kai an, inmitten von hunderten anderen Schiffen verschiedenster Größe und Gestalt – Handelsschiffe, Fischerboote, einige große Galeonen wie unsere –, alles gesichert von einer Furcht einflößenden Festung mit funkelnden Geschützständen.
Das Schiff wird von einer Horde rauer Dockarbeiter entladen, die beim Anblick der Strauße die Flucht ergreifen und von ihren Vorarbeitern wieder an die Arbeit gepeitscht werden müssen, eine Szene, die mich zwangsweise an Meknès erinnert. Ich beobachte, wie Momos Truhe, die ich gereinigt und mit einem neuen Schloss gesichert habe, auf einen Karren verladen wird, und denke daran, wie still er letzte Nacht war, als ich ihm erklärte, er müsse wieder in seinen Käfig steigen. Ich sah, wie ihm allein bei dem Gedanken die Tränen kamen und er sie standhaft zurückhielt. »Es ist nur für kurze Zeit. Und wenn wir in London sind, wirst du sicher sein.« Ein leeres Versprechen. Gott hätte mich auf der Stelle tot umfallen lassen müssen.
Sir James Leslie lädt ben Hadou und seine Offiziere, darunter auch mich, in eine Schenke an der Hafenpromenade ein. Das Mahl beginnt im Streit mit dem Wirt, der uns achtlos gepökeltes Schweinefleisch vorsetzt und von einem empörten Sir James wegen seiner Unwissenheit zurechtgestutzt wird. »Diese Gentlemen sind Mohammedaner, du Dummkopf, sie essen kein Schweinefleisch. Bring ihnen deine besten Hirschpasteten, aber schnell!«
Der Wirt schickt die Magd in die Küche und lässt anschließend seine Wut an dem jungen Kellner aus, den er wie einen Sklaven behandelt, obwohl er keinen Sklavenring trägt
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