Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
zusammengerollte Hose aus Leinen, Ledersocken, einen kleinen Beutel mit Datteln und Nüssen, um Amadou ruhig zu halten. Ganz unten, noch unter meinem Geldbeutel und Momos kleinem Vorrat an Edelsteinen, finde ich den Zettel, den Daniel mir mitgegeben hat, und versuche, die fremde Handschrift zu entziffern. Soll ich riskieren, den Zorn des Gesandten auf mich zu ziehen, indem ich das Schloss verlasse und den Mann aufsuche, dessen Name und Anschrift auf dem Zettel stehen? Golden Square, in der Tat eine königliche Adresse, bestimmt liegt sie in der Nähe. Es dürfte nicht schwierig sein, sie zu finden. Trotzdem wiegt die Angst schwerer, und ich stecke den Zettel wieder in die Tasche.
Als Amadou die Schätze sieht, schnattert er und zupft an meinem Gewand. Damit er den Kleinen nicht weckt, nehme ich ein paar Datteln und Erdnüsse heraus und lege sie auf das Fenstersims. Er springt hinterher, schnappt sich die Nüsse und setzt sich hin, um sie in aller Ruhe zu knacken. Erst da fällt mir ein, dass ich seit dem Morgen nichts mehr zu mir genommen habe. Ich schließe die Tür ab und gehe auf die Suche nach etwas Essbarem.
Die Gesellschaftsräume unten sind viel größer als unsere Gemächer. Sie haben hohe, mit Zierleisten versehene Decken, und an den Wänden hängen bunte Teppiche und Gemälde von großen Männern und Frauen oder historischen Ereignissen. Auch das ist neu für die Mitglieder unserer Gesandtschaft, denn der Islam verbietet jede Abbildung der Welt, die nicht abstrakt ist. Ich vergesse, warum ich heruntergekommen bin, und betrachte versunken eines der gewaltigen Gemälde aus der italienischen Renaissance mit seinen lebendigen Farben. Andächtig bleibe ich vor dem vergoldeten Rahmen stehen, bewundere die herrlichen Farben, das durchscheinende bleiche Gesicht der Jungfrau, ihre sanfte Ruhepose, die blauen Augen, die anbetend das Kind auf ihrem Schoß betrachten, und denke an Alys und den Knaben, der oben in meinem verschlossenen Zimmer schläft. Plötzlich sagt jemand hinter mir: »Wunderschön, nicht wahr?«
Ohne weiter nachzudenken, antworte ich: »Sie ist so traurig. Als wüsste sie schon, dass sie ihren Sohn verlieren wird.«
»Potztausend, Sir. Was für eine traurige Interpretation einer so anheimelnden Szene.«
Ich drehe mich um und sehe einen hochgewachsenen Mann, der das Gemälde wehmütig betrachtet. Er muss weit über fünfzig sein, doch sein Haar und der Schnurrbart sind schwarz wie Tinte. Viel zu dunkel für einen Engländer, denke ich. Vielleicht ist er Spanier oder Italiener. Er trägt eine schlichte Tracht aus burgunderrotem Tuch mit einem einfachen Leinenhemd darunter und ist in Begleitung zweier rot und weiß gemusterter Hündchen und dreier junger Damen in raffinierten, ja gewagten Kleidern, die die Wölbung ihrer runden Brüste geradezu provozierend zur Schau stellen.
Mit Mühe wende ich den Blick ab und betrachte erneut das Gemälde. »Seht nur die herabgezogenen Mundwinkel«, sage ich plötzlich. »Und beachtet, wie sie an ihrem Kind vorbei in die Ferne blickt. Sie sieht in die Zukunft und erkennt seinen Tod.«
Er lacht mit einer tiefen, wohlklingenden Baritonstimme. »Ihr meint, nicht wie eine gewöhnliche Mutter, die nur Augen für das Kind auf ihrem Arm hat und sich keinen Deut um den Rest der Welt kümmert, am wenigsten um ihren armen Gatten?«
Eine der Damen klopft ihm sanft mit ihrem Fächer auf den Arm. »Rowley, ich habe Euch nie vernachlässigt, das wisst Ihr genau.« Sie nähert sich dem Porträt. »Sieht sie nicht tatsächlich traurig aus? Ich habe sie mir noch nie so genau angesehen. Vielleicht hätte mich Mr. Cross lieber als gesegnete Maria malen sollen statt als alberne Amorette. Mein armer kleiner Karl, er war erst siebenundzwanzig, als er letztes Jahr starb; selbst Christus waren sechs Jahre mehr vergönnt.«
Empört bringen die anderen sie zum Schweigen, doch das scheint sie nur noch mehr anzustacheln, denn jetzt wendet sich zu mir um und mustert mich lasziv. »Potztausend, seid Ihr groß!«, erklärt sie und imitiert die tiefe Stimme des Mannes. Ihr Blick ist listig wie der einer Katze, und sie ist auch nicht so jung, wie ich zuerst dachte. »Schwarz wie Tinte. Sagt, Sir, seid Ihr überall so schwarz?«
Ihre Begleiterinnen kichern laut und wedeln mit ihren Fächern.
»Jetzt reicht es, Nelly«, schimpft der Mann. »Lasst den armen Kerl in Ruhe, er ist bestimmt hierhergekommen, um einen stillen Augenblick mit der Madonna zu verbringen, und nicht, um Euch als
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