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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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Grund für so viel Betriebsamkeit.
    »Vor fünfzehn oder sechzehn Jahren gab es ein Feuer in der Stadt«, erklärt er. »Der Brand zerstörte ganze Viertel, hunderte Straßen und Kirchen und tausende Häuser. Früher war es hier dunkel, kalt und feucht, überall gab es Unrat und Ratten. Die Baumeister Wren und Hooke haben unter Anleitung unserer Majestät, des Königs von England, wahre Wunder vollbracht.«
    Im Vergleich mit dem dunklen Labyrinth von Fès und den überfüllten Gassen der Medina von Meknès ist dies hier eine andere Welt, geräumig und übersichtlich. Ich frage mich, was für ein Mensch der englische König wohl sein mag, der über eine so riesige, moderne Metropole herrscht. Nun, bald werde ich es erfahren, sage ich mir.

ZWEIUNDDREISSIG
    10. Januar 1682
    W ir werden im königlichen Palast Whitehall untergebracht, einem labyrinthähnlichen Gebäude mit nahezu zweitausend Räumen, wie man uns erzählt. Ben Hadou bittet uns, in unseren Zimmern zu bleiben, solange wir darauf warten, am nächsten Tag vom englischen König empfangen zu werden. Wir sollen ihn nicht blamieren, indem wir fremdartigen Verlockungen nachgeben oder uns ungebührlich benehmen, da wir mit den Sitten und Gebräuchen am englischen Hof nicht vertraut sind.
    Der Blick aus dem Fenster unseres Zimmers zieht Momo in seinen Bann. Er klettert mit dem gefügigen Amadou auf dem Arm auf den Stuhl neben mir, und ich zeige ihm die Menschen und die Tiere im Park hinter dem Turnierplatz und den Platz, auf dem die berittene Palastwache exerziert. Draußen laufen viele Menschen zwischen den schönen Bäumen und Blumenbeeten hin und her, und auf den Wiesen am See sieht man alle Arten von Tieren – Schafe und Hunde, Kühe und Ziegen.
    »Können wir nicht hingehen?«, bettelt Momo.
    »Bald«, verspreche ich und hoffe, dass es nicht gelogen ist.
    Ich wasche ihn aus einer Schüssel mit Wasser, das ich über dem Feuer erwärmt habe. Gestern Abend fragte ich törichterweise einen Diener, ob es im Schloss einen Hamam gebe, in dem ich baden könnte. Er starrte mich völlig verdattert an. »In den Gemächern der Königin gibt es ein Bad, doch das darf niemand außer ihr benutzen. Vermutlich könntet Ihr Streatham Spa oder Bagnigge Wells aufsuchen. Der König schwimmt im Sommer in der Themse, aber …« Er stockte, entschuldigte sich und ging kopfschüttelnd weiter, als wäre er einem Wahnsinnigen begegnet.
    Später bringe ich Momo ins Bett, decke ihn zu und warte, bis er einschläft. Erst dann hole ich meine Ledertasche hervor und überprüfe den Inhalt. Die verschlossene Schriftrolle des Weißen Schwans habe ich in die Seite der Tasche eingenäht, wo sie niemand finden soll. Mit der Dolchspitze trenne ich die Nähte der Tasche auf und hole die Rolle heraus. Lange Zeit halte ich sie in den Händen.
    Die Versuchung, die Schriftrolle zu öffnen, ist groß. Jetzt, da wir in London sind, könnte ein kurzer Blick auf den Inhalt nicht schaden. Ich spüre, wie es mir in den Fingern juckt, die silbernen Nähte aufzutrennen. Ich kann ziemlich gut mit der Nadel umgehen, sage ich mir, und habe auch wie immer mein kleines Nähkästchen dabei. Ich könnte die Schriftrolle wieder zunähen, nachdem ich sie gelesen habe. Schließlich hat sie mir ihren Sohn anvertraut. Welche Geheimnisse kann es zwischen uns geben? Nach langer Überlegung schelte ich mich. Wenn Alys mich nicht über den Inhalt in Kenntnis setzen wollte, muss ich die Rolle unangetastet übergeben, da die Information darin nicht für meine Augen bestimmt ist. Ein anderer hätte solche Skrupel nicht, davon bin ich überzeugt. Also muss ich mir überlegen, wo ich sie verstecke, vor Amadous diebischen Fingern ebenso wie vor anderen Gefahren. Ich könnte sie am Körper tragen, doch dann müsste ich mein Gewand gegen einen Mantel mit Innentasche eintauschen, sie direkt auf der Haut tragen oder in den Schuh stecken. Das wiederum wäre ungehobelt und respektlos; so darf man keinen Gegenstand aufbewahren, der für die Hand eines Königs bestimmt ist. Am Ende stecke ich sie wieder unter das Futter der Tasche und hefte es mit langen achtlosen Stichen zusammen. Vielleicht ist es am sichersten, wenn ich die Tasche ständig bei mir trage.
    Dafür nehme ich alles heraus, was sie unnötig schwer macht. Momos Ersatzkleidung, eine Abschrift der Suren, ein Stück französischer Seife, das ben Hadou mir netterweise geschenkt hat und das ich kaum zu benutzen wage, weil es so kostbar ist, einen zweiten Turban, eine

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