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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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dem König zu begegnen, so habe ich mich getäuscht. Seit unserer zufälligen Begegnung zu Beginn unseres Aufenthaltes habe ich ihn nur noch aus der Ferne zu Gesicht bekommen, und jetzt soll er sich, wie man uns berichtete, auf die Jagd begeben haben. Ben Hadou ist enttäuscht, weil er nicht eingeladen wurde. Als er nach mehreren Tagen Aufenthalt im Schloss sehnsüchtig über das Reiten spricht, schlägt einer der Höflinge vor, wir sollten uns Pferde aus den königlichen Stallungen aussuchen und einen Ausflug zum Hyde Park machen. Al-Attar erkennt sofort die Möglichkeit, Eindruck zu schinden. Er lädt den Höfling und alle Umstehenden zu einer marokkanischen »Fantasia« ein. »Jetzt zeigen wir ihnen, was Reiten in Wirklichkeit heißt«, sagt er genüsslich und schickt mich zum Umkleiden.
    Ich kehre in einem weißen Gewand, qamis aus Baumwolle und babouches zurück, den Burnus habe ich mir über die Schultern geworfen. Ben Hadou trägt einen engen Uniformrock über einem weitärmeligen Batisthemd, einen extravaganten scharlachroten Umhang, rote Lederstiefel und einen mit Edelsteinen besetzten Turban. Er sieht prächtig aus, wie ein Prinz aus Tausendundeine Nacht . Doch als er mich sieht, schüttelt er den Kopf: »Bei Allah, Nus-Nus, sind das deine besten Kleider?«
    »Die besten, dich ich besitze.«
    »Nun, das reicht natürlich nicht. Es ist eine einmalige Gelegenheit, unseren Gästen eine Vorstellung des wahren Marokkos zu geben.« Er steht neben mir, und ich bin mehrere Köpfe größer als er, doch das hindert ihn nicht daran, einen seiner Diener zu schicken, um neue Kleider aus seiner eigenen Garderobe zu holen, und wenig später stecke ich in blaugrünen, goldbestickten Gewändern und sehe blendend aus, obgleich mir die Hose viel zu kurz ist.
    Für die sechs Männer, die al-Attar für die besten Reiter hält – sich selbst, Sharif, zwei Cousins des Sultans, Samir Rafik und meine Wenigkeit –, werden aus den Stallungen des Königs Pferde gebracht. Es sind wundervolle Tiere. König Karl versteht in der Tat etwas von Vollblutpferden. Hamza, der weit weniger imposant gekleidet ist als wir, bringt die Lanzen, die ben Hadou allein für diesen Anlass mitgenommen haben muss. Es bereitet mir Unbehagen, Rafik hier zu sehen; einen Moment lang verkrampft sich mein Magen. Aber wenigstens schnüffelt er nicht während meiner Abwesenheit im Schloss herum.
    Der Hyde Park ist wunderschön. Ein weitläufiger Park mitten in der Stadt, voller Menschen, die dort spazieren gehen oder reiten. Bis man einen geeigneten Platz für uns gefunden hat, ist schon eine große Zuschauermenge versammelt, und jetzt müssen wir tatsächlich etwas bieten. Wir galoppieren vor und zurück, geben den Pferden die Sporen, bis sie schwitzen, und werfen unsere Lanzen auf eine Zielscheibe, die man eigens dafür aufgestellt hat. So gut treffen wir ins Schwarze, dass die Menschenmenge begeistert Beifall klatscht. Danach reiten wir in Zweierpaaren gegeneinander, werfen und fangen die Lanzen zum stürmischen Jubel der Zuschauer. Es tut gut, sich körperlich zu betätigen, nach all der Zeit, die wir in Whitehall eingesperrt waren, und ich ertappe mich dabei, wie ich mich in den Bügeln aufstelle und das Pferd allein mit den Knien führe, während ich voller Begeisterung meine Lanze schwenke. Als ich mich umdrehe, um sie zu werfen, hat sich die Formation geändert, und ich stehe nun plötzlich Rafik gegenüber, der die Zähne bleckt und seine Lanze absichtlich den Bruchteil einer Sekunde zu früh wirft. Als sie auf mich zukommt, scheint sich alles um mich herum zu verlangsamen, und ich denke noch, dass es keine bessere Gelegenheit für einen Mord gibt, der wie ein Unfall aussehen soll, als fern der Heimat, während einer harmlosen Fantasia.
    Mit einem Mal gerät die Welt aus dem Gleichgewicht, ich spüre, wie ich hart auf den Boden pralle; dann wird alles um mich herum schwarz. Ich will aufstehen, doch es geht nicht. Mein ganzer Körper schmerzt. So also ist es, wenn der Tod kommt – vor einem fremden Publikum, auf der Bühne? Stimmen erheben sich, Frauen schreien, Männer rufen, Pferde schnauben und trampeln, und dann höre ich ein reißendes Geräusch neben meinem Ohr, und es wird wieder hell. Über mir steht ben Hadou, in der einen Hand die Lanze, in der anderen meinen Umhang, mit einem Loch dort, wo die Lanze getroffen und mich zu Boden geworfen hat. »Du hast Glück gehabt, Nus-Nus!«
    Ich setze mich langsam auf. Mein Kopf brummt, es fällt mir schwer,

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