Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
darauf eine Note mit einem Klumpen Wachs, auf dem das königliche Siegel prangt. Ich ergreife sie und ziehe mich mit heftig pochendem Herzen in mein Zimmer zurück. Die Nachricht ist in schiefer, unsauberer Handschrift verfasst, und ich habe Mühe, sie zu entziffern, da ich es nicht gewohnt bin, englische Schrift zu lesen. Darauf steht:
Birdcage Walk, St. James’s Park.
Morgen bei Sonnenaufgang
C. R.
SECHSUNDDREISSIG
4. Februar 1682
N och vor Sonnenaufgang bin ich auf den Beinen, diesmal nicht, um zu beten, obwohl ich Gott alles Mögliche verspreche, während ich mir den Burnus überstreife und in die neblige Morgendämmerung hinaustrete. Wenig später erreiche ich die Stelle, die ich für Birdcage Walk halte, denn hier gibt es überall Vögel, in Käfigen oder in Freiheit. Die meisten schlafen noch, die Köpfe unter den Flügeln vergraben. In diesem Moment illuminiert ein malvenfarbenes Licht die Wolken im Osten und färbt das Wasser des spiegelglatten Sees. Ich stelle mich hinter einen Baum und warte. Schließlich kommt eine in einen Umhang gehüllte, große Gestalt schnellen Schrittes auf mich zu. Die Gangart ist unverkennbar, trotz des Dreispitzes. Ich löse mich aus meinem Versteck und will mich gerade vor ihm verbeugen, als ich die tiefe Stimme des Königs höre: »Potztausend, Mann, lasst das sein!« Dann tritt er in den Schutz der Bäume, wo auch ich mich versteckt hatte. »Der Junge, den sie erwähnt … habt Ihr ihn tatsächlich nach London geschmuggelt?«
Er mustert mich ungläubig, während ich ihm erzähle, was ich anstellen musste, um Momo von Marokko nach Whitehall zu bringen. Als ich berichte, wie ich ihn in einen Mohren verwandelt habe, gluckst er. »Tja, ich muss schon sagen, Ihr seid ein erfindungsreicher Bursche, Nus-Nus. Dass Ihr den Jungen vor aller Augen versteckt, zeugt von großem Mut, und ihn dann bei Louise unterzubringen ist einfach genial! Bringt ihn zu mir, morgen, nach dem couché . Kommt zu der geheimen Hintertreppe. Mr. Chiffinch wird Anweisungen erhalten, Euch passieren zu lassen. Könnt Ihr es einrichten?«
Ich nicke. »Selbstverständlich, Majestät. Vielen Dank.« Ich kann nicht anders, falle auf die Knie und greife nach seiner Hand, um sie aus Erleichterung und Dankbarkeit zu küssen, doch er lacht nur und geht seines Weges.
Als die Sonne über den Dächern von Whitehall aufgeht, habe ich das Gefühl, als schiene sie nur für mich, und danke allen Göttern, zu denen ich je gebetet habe. Morgen wird Momo unter dem Schutz des Königs in Sicherheit sein. Damit ist der Grundstein gelegt, dafür, dass Alys ihm folgt. Ich habe alles erfüllt, was man von mir verlangt hat. Jetzt muss ich mich nur noch um Zidanas Bestellung kümmern. Ach Nus-Nus, was bist du für ein Glückspilz, denke ich und klopfe mir im Geist auf die Schulter. Mutig und erfindungsreich, wie der König gesagt hat, und wer bin ich, um einem König zu widersprechen? Am liebsten hätte ich vor lauter Stolz gekräht wie ein junger Gockel.
Doch ich hätte es wissen müssen: Hochmut kommt vor dem Fall. Alle Zeichen deuten darauf hin. Die dunklen Wolken am Horizont, die schwarze Katze, die mir über den Weg läuft, als ich das Schloss betrete, das Salz, das ich verschütte, als ich mir in der kleinen Küche mein Frühstück abholen will. Dort frage ich die Köchin, eine schlecht gelaunte alte Frau, nach Kate, und sie faucht zurück: »Nein, sie ist noch nicht da, das faule Miststück, aber was geht das einen verdammten Mohren an?« Sie verachtet mich wegen meiner Hautfarbe und des Sklavenrings am Ohr. Dann gibt sie mir ein so hartes Stück Brot zu dem Rührei, dass ich mir einen Zahn abbreche und mich augenblicklich in den Kerker von Meknès zurückversetzt fühle. Auch das hätte mir eine Warnung sein sollen. In jeder Ecke lauert Gefahr und am Rand jeder schönen Aussicht der Tod.
Während ich die Treppen zu meiner Kammer hinaufsteige und um die Ecke biege, bin ich so zwischen Hochstimmung und Schmerz hin- und hergerissen, dass ich um ein Haar gegen ben Hadou pralle, der barfuß die Stufen hinaufschleicht. Ich bleibe stehen und lasse ihn vorangehen. Er hat mich gar nicht bemerkt, und ich frage mich, wo er um diese frühe Stunde gewesen sein kann, obendrein ohne Schuhe, dabei ist er doch sonst immer so penibel. Vielleicht hat er gebadet und anschließend gebetet, schelte ich mich. Oder er wollte wie ich frühstücken. Doch es lässt mich nicht los.
Der Tag bringt eine weitere Einladung. Mr. Pepys hat Wort
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