Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
an der Schulter des Wesirs ab, als hätte Ismail das Interesse schon wieder verloren. Der Sultan tritt zur Seite und untersucht das Buch auf eventuelle Schäden, doch es ist intakt. Wer immer es restaurierte, hat gute Arbeit geleistet. »Geh mir aus den Augen. Zahl dem Buchhändler, was er verlangt.« Er drückt mir den Koran in die Hand. »Stell ihn ins oberste Regal, Nus-Nus. Er ist jetzt entweiht.«
Wenn er wüsste, wie recht er hat!
Ich hole die hölzerne Trittleiter und schiebe den Safawiden-Koran zwischen zwei andere alte Werke im obersten Regal. Hoffentlich wird Ismail nie seine Meinung ändern und den Wunsch äußern, ihn wieder herunterzuholen.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass er am Boden kniet und den Arm um die Schultern des hajib gelegt hat. »Steh schon auf, Mann. Was machst du denn da unten? Du musst nicht vor mir auf die Knie gehen, wir sind wie Brüder, du und ich, nicht wahr?«
Abdelaziz rappelt sich wieder auf. Seine Augen sind glasig, auf einer Wange ist Blut zu sehen. Ich schaue mit Grauen, aber auch fasziniert zu, wie der Sultan es mit dem Ende seiner Schärpe abtupft. »So, schon besser, nicht?«
»Ja, o Größter aller Großen.« Der Wesir bringt ein wackliges Lächeln zu Stande.
Ismail dreht sich zu mir um. »Hast du schon nach dem Wolf gesehen?«
Verdammt. Geplagt von all den anderen Sorgen habe ich den Wolf ganz vergessen. »Ich wollte gerade hingehen, Majestät.«
Der Wolf sieht mehr tot als lebendig aus. Auf seinem Kopf prangt eine große, blutige Schwellung. Neben dem Käfig stehen zwei Kinder, das ältere mit einem Stock in der Faust. Beide haben kahl geschorene Schädel, mit einem einzigen langen Zopf auf dem Scheitel, damit die Engel sie festhalten können, wenn sie fallen. Doch diesen Kindern werden vermutlich keine Engel beistehen. Die schweren goldenen Ringe, die sie tragen, weisen sie als zwei von Ismails zahlreichen kleinen Emiren aus, die ungehindert und aufsässig durch die Palastanlage streunen. Ich weiß nur allzu gut, wer sie sind: Zidan, der älteste Sohn der Herrscherin, sechs Jahre alt und rotzfrech; der andere fast noch ein Kleinkind, Ahmed der Goldene, ein angehendes kleines Monster.
Ich seufze. »Was machst du hier, Zidan?«
Der ältere Junge sieht mich aus seinen trotzigen schwarzen Augen an. »Nichts. Ich will nur mit dem Wolf spielen. Vater hat gesagt, ich darf.«
»Ich bin sicher, dass dein Vater dir nicht erlaubt hat, die arme Kreatur totzuprügeln.«
Er schnaubt verächtlich. »Ich hab ihm doch nur einen kleinen Klaps gegeben.«
Ahmed lacht begeistert: »Einen großen Klaps.«
»Du brauchst gar nicht so unschuldig zu tun, Zidan. Erinnere dich an letzte Woche.« Ich werfe ihm einen viel sagenden Blick zu. Letzte Woche hatte ich ihn mit einem älteren Jungen, einem Sklaven, bei den Ställen erwischt, wo er einer Katze die Krallen abhackte, mitsamt den Wurzeln. Dem Sklaven war offensichtlich übel: Die Katze hatte Zidan das Gesicht zerkratzt, woraufhin er ihm anscheinend befohlen hatte, sie festzuhalten, während der kleine Teufel seinen Dolch schwang. Ich hatte beide ausgeschimpft und dem Sklavenjungen einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt, stärker, als ich eigentlich wollte, da ich lieber Zidan bestraft hätte, mich aber nicht traute. Wie seine Mutter kann er sehr nachtragend sein, und wie sein Vater genießt er die Macht, andere zu entstellen oder zu töten. Die Katze ist trotzdem gestorben. Ich habe sie eigenhändig begraben.
»Wenn du das meldest, lasse ich dich töten.« Der kleine Emir schlägt den Stock gegen sein Bein. Er hinterlässt blutige Streifen auf seiner qamis . »Ich könnte dich sowieso töten lassen, Halb-und-Halb.«
»Dein Vater liebt seine Katzen, und der Koran sagt, diejenigen, die andere quälen, werden selbst in der Hölle gequält«, erinnere ich ihn.
»Da steht aber nichts über Wölfe«, gibt er zurück und starrt mich mit gefletschten Zähnen an. Sie sind jetzt schon faulig von all den Süßigkeiten, die er sich erbettelt.
Gott sei Dank erscheint in diesem Augenblick der Tieraufseher. Er wirkt eingeschüchtert, mit gutem Grund. Endlich kann ich meinem Zorn freien Lauf lassen und brülle ihn an: »Was zum Teufel ist mit ihm los?«
Er zuckt die Achseln. »Er hat Prinz Zidan angegriffen, als ich ihn in den Käfig setzen wollte. Es sah aus, als wollte er ihm an die Kehle, doch der kleine Emir war sehr tapfer.«
Was für eine Lüge! Das arme Tier sieht aus, als könnte es nicht einmal ein Huhn erlegen, und der Junge
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