Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
hart. Ich sehe, wie der Junge ihm einen verwirrten Blick zuwirft; er ist neu und spricht noch nicht gut Arabisch. Der zweite Bursche versteht genug. Er wirkt verschreckt, nicht ohne Grund; seine Arme und Schultern sind mit dünnen weißen Narben bedeckt. Er zieht den anderen Knaben fort, und beim Verlassen des Raums höre ich, wie er in ihrer Muttersprache auf ihn einredet. Hier und da verstehe ich Fetzen. »Er ist grausam … einem gern Schmerzen zu, gib ihm keinen Anlass …«
Ich erinnere mich an diese ausdruckslosen dunklen Augen, die meinen Schmerz beobachten, ja genießen, und mir dreht sich der Magen um.
»Nun, hast du schon über mein Angebot nachgedacht, Nus-Nus?«, unterbricht der Großwesir meine Gedanken, als wir uns auf den Weg durch den Säulengang machen.
Um hier zu überleben, habe ich gelernt, ein »zweites Gesicht« aufzusetzen, wie die kponyungu -Maske, die ich vor langer Zeit bei den Poro-Ritualen unseres Stammes trug. Gleichzeitig sage ich mir: Ich bin nicht ich. Ich bin ein anderer. Die Maske lächelt. »Es ist eine große Ehre für mich, Sidi, aber ich fürchte, Seine Erhabene Majestät wäre nicht einverstanden.«
»Seine ›Erhabene‹ Majestät braucht gar nichts davon zu wissen.«
»Der Sultan erfährt alles.«
Abdelaziz schnaubt verächtlich. »Seine Spitzel meinst du wohl. Spitzel wie der Hausierer.« Er macht eine abschätzige Geste, als wollte er eine Fliege verjagen.
Der Hausierer – al-Attar . Er spielt auf Kaid ben Hadou an. Die beiden können sich nicht ausstehen. Wir nähern uns jetzt den herrschaftlichen Wohnungen, und ich möchte nicht, dass Ismail etwas von unserem Gespräch mitbekommt. Dem Großwesir scheint es ebenso zu gehen, denn plötzlich packt er mich am Oberarm und bohrt mir die Finger ins Fleisch, wobei er instinktiv die schmerzhaftesten Druckpunkte findet. Ich sehe ihn kühl an und halte mein Gesicht unter Kontrolle. Ich bin nicht ich.
»Mach mich nicht zu deinem Feind, Nus-Nus. Das wäre unklug.«
Er ist bereits mein Feind. Ich verneige mich. »Ich bin Euer demütiger Diener, Herr, aber vor allem bin ich der demütige Diener Seiner Erhabenen Majestät.«
»Ismail ist ein Neidhammel.«
Es gibt eine Redensart, die ich von anderen Sklaven gelernt habe: Was in der Wüste geschieht, bleibt in der Wüste. Wir geben uns alle Mühe, unser Leben neu zu erfinden und unsere Selbstachtung wiederzuerlangen. Aber wie soll ich je vergessen, was Abdelaziz mir angetan hat? Die Hände an meinen Seiten krümmen sich wie Krallen.
»Niemand muss davon wissen.« Wieder das Basiliskenlächeln.
»Wovon wissen?«
Ismail hat einen leisen Schritt. Er liebt es, andere zu überraschen, und wenn er sich sicher fühlt, geht er gern barfuß im Haus herum. Der hajib und ich werfen uns hastig zu Boden. Hier steigt mir der Geruch frischgeschnittenen Holzes in die Nase wie Räucherwerk.
»Ach, steh schon auf, Mann.« Ismail versetzt dem Wesir einen Tritt mit seinem nackten Fuß. »Ich muss dir etwas zeigen. Einen seltenen Schatz.«
Du lieber Himmel, das Buch! Fast hätte ich es vergessen. Mein Gott, wenn Abdelaziz sieht, was sich zwischen seinen Deckeln verbirgt, wird er die Täuschung sofort durchschauen, und da er raffiniert genug ist, um die Information für sich zu behalten, solange es ihm passt, liegt mein Schicksal in seinen Händen, und er kann mit mir machen, was er will. Der Tod könnte gar nicht schnell genug kommen …
Lass dir was einfallen , rät mir der Verstand. Lenk ihn ab! Doch mein Kopf ist absolut leer.
Ismail nimmt das Buch, und ich sehe, wie Abdelaziz’ Augen glänzen, als er den prachtvollen Einband betrachtet. Gierig streckt er die Hände danach aus. Der Sultan starrt sie einen Augenblick an. Dann schlägt er dem Großwesir den Safawiden-Koran mit voller Wucht auf den Kopf. Ich kann den Abdruck des schmuckvollen Einbands so deutlich im feinen Baumwolltuch des Turbans erkennen, als wäre es ein Siegel in heißem Wachs. Der hajib fasst sich stöhnend an den Kopf.
»Wie kannst du es wagen, mir derart schmutzig unter die Augen zu treten!«, tobt Ismail. »Deine Finger sind klebrig vom Honig, und dein Bart ist voller Krümel! Hast du keinen Respekt vor mir oder dem heiligen Koran?« Damit schlägt er ihm das schwere Buch wieder und wieder auf den Kopf, bis der Wesir zu Boden geht.
»Gnade, habt Mitleid mit mir, Majestät! Nus-Nus sagte, ich solle mitkommen, und ich dachte, es sei dringend …«
Der nächste Schlag ist weniger wuchtig, und der übernächste prallt
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