Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Schreckliches darin zu finden, doch da liegt der weiße Burnus. Ich nehme ihn heraus und falte ihn auseinander. Kein Zweifel, es ist derselbe Umhang, den ich am Tag zuvor getragen habe; die Goldstickerei am Saum macht ihn unverwechselbar. Doch während er gestern noch von Kabours Blut besudelt war, ist er jetzt tadellos sauber, vielleicht weißer und sauberer als je zuvor.
Darunter liegt der Safawiden-Koran mit seinem tadellosen goldenen Einband. Ich nehme ihn heraus und drücke ihn an die Brust. »Dank, o barmherziger Gott«, sage ich laut und setze dann noch hinzu: »Und danke auch Euch, meine Herrin Zidana, möge der Allmächtige Euch ein langes, glückliches Leben schenken.« Nie habe ich so glühend an die Gnade Allahs geglaubt, an seine unendliche Weisheit und Güte.
Ich werfe den Umhang wieder in die Truhe, klemme mir den Safawiden-Koran unter den Arm und renne zur Bibliothek.
Dort rezitiert ein taleb in hypnotischem Singsang die vierundfünfzigste Sure, Der Mond . Ismail sitzt auf seinem mit Intarsien aus Gold und Perlmutt geschmückten Thron und lauscht verzückt dem poetischen Rhythmus der heiligen Worte. Als ich eintrete, richtet sich sein Blick eifrig auf das Objekt unter meinem Arm. Er wartet, bis der Gelehrte die Sure beendet hat, und entlässt ihn dann mit einer Handbewegung. Ich sehe, wie der Blick des taleb ebenfalls auf das Buch fällt, und ahne, was für eine Qual es für ihn sein muss, weggeschickt zu werden, ohne einen Blick auf diesen unbezahlbaren Schatz werfen zu dürfen. Gleichzeitig weiß ich, wie sehr Ismail es genießt, ihm dieses Vergnügen zu verweigern. Mein Herr hat eine zwiespältige Haltung talebs gegenüber. Einerseits schätzt er ihre Gesellschaft, weil ihr Wissen auf ihn abfärbt, andererseits kann er es nicht leiden, wenn man ihm widerspricht. Er hat einen erheblichen Verschleiß an Gelehrten; schon wenige Worte zum falschen Zeitpunkt oder eine unwillkommene Predigt reichen, und sie landen in einer Löwen- oder Schlangengrube oder stürzen kopfüber in einen Brunnen.
Nachdem der Gelehrte den Raum verlassen hat, streckt Ismail die Arme aus. Er hat feine Hände und lange, schmale Finger, wie die einer Frau. Kaum zu glauben, dass sie an diesem Morgen seinem Lieblingswächter den Kopf abgeschlagen haben, der obendrein von stattlicher Größe war. »Gib mir das Buch, Nus-Nus. Es kostet meine Schatzkammer eine Menge Geld, und ich möchte es in Ruhe betrachten.«
Ich überreiche ihm den Koran und beobachte, wie seine Finger spielerisch den komplizierten Mustern folgen, wie er ihn hin und her wendet, um die Vergoldung zu bewundern. Die Anspannung in seinem Gesicht löst sich, als berührte er den Kopf eines vergötterten Sohns oder die Brust einer Lieblingsfrau. Er ist ein seltsamer Widerspruch, unser Herrscher: grausam und zärtlich zugleich, heftig und nachgiebig, abweisend und sinnlich. Ich habe gesehen, wie er eigenhändig ein krankes Kätzchen mit warmer Milch gefüttert und nur wenige Stunden später einem Diener, der ihn geärgert hatte, mit dem Finger derselben Hand ein Auge ausgestochen hat. Einmal, als ich Fieber hatte, führte er mich zu seinem eigenen Bett und wischte mir mit Tüchern, die in Rosenwasser getränkt waren, den Schweiß von der Stirn, bis es seinen Höhepunkt überschritten hatte. Seine Sorge um mich war noch größer als seine Furcht vor Ansteckung. Zwei Tage später, als ich schon fast wieder genesen war, warf er mir eine Wasserkanne an den Kopf, weil ich ihm nicht schnell genug ein Glas gebracht hatte. Sein Temperament sorgt dafür, dass seine Untertanen ihn ebenso sehr lieben wie fürchten.
»Wunderbar. Wirklich wunderbar. Du hast gut daran getan, es mir zu bringen, Nus-Nus, und sollst dafür belohnt werden. Ach, solche Bücher werden heute gar nicht mehr gemacht.« Er schlägt es auf, und mir stockt der Atem. Das filigrane Muster auf der Innenseite des Buchdeckels war zuvor mit einem Hintergrund aus türkisfarbener Seide unterlegt, wie vom Meer geschliffenes Glas, jetzt aber ist es ein staubiges Rosa, als wäre das eingesickerte Blut nur verwässert, nicht aber entfernt worden. Und als er weiterblättert zu der Seite, wo die erste Sure stehen müsste, habe ich das Gefühl, dass mir das Herz stehen bleibt.
»Lies mir Die Kuh vor, Nus-Nus.« Auf seinen Lippen liegt ein gütiges Lächeln, das ganz entsetzlich ist.
Ich muss die Sure aus dem Gedächtnis rezitieren, denn der Text steht in keinerlei Beziehung zu den heiligen Worten, die Allah dem Propheten
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