Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Aus Enttäuschung wurde Bitterkeit, aus Bitterkeit ein seelischer Verfall, der bald auch auf den Körper übersprang, und seitdem habe ich mich um sie kümmern müssen. Nur aufgrund unserer wachsenden Schulden und weil sie sich danach sehnte, »mein geliebtes England noch einmal wiederzusehen, bevor mein letztes Stündlein schlägt«, hatte sie in meinem Namen den Heiratsantrag von Mr. Andrew Burke angenommen.
Ich war meinem zukünftigen Ehemann nicht näher gekommen als bis zu einem kleinen Porträt, das er mir geschickt hatte, doch nachdem ich dasjenige gesehen hatte, welches man zum Zwecke einer Verheiratung von mir angefertigt hatte, hegte ich erhebliche Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit. Auf meinem Porträt war ich zierlich und blond, und meine Augen erschienen größer und blauer, als sie tatsächlich sind, meine Haut war so weiß wie Porzellan, ohne eine einzige Sommersprosse, und die fehlenden Details machten mich um gute zehn Jahre jünger, als hätte jemand ein helles Licht auf mich gerichtet, das Alter und Zustand einfach verwischte. Als ich es sah, musste ich laut lachen. »Er schickt mich zurück, wenn er sieht, dass er die Katze im Sack gekauft hat!« Mutter war not amused .
Mr. Burkes Porträt zeigte einen Mann mit rötlicher Gesichtsfarbe, einem schwarzen Bart und einem stattlichen Bauch. In dunkler Kleidung steht er mit einem Metermaß vor einem halb ausgebreiteten Stoffballen, um auf seinen Status als erfolgreicher Tuchhändler hinzuweisen – etwa eine Meile tiefer auf der sozialen Leiter, als meine Mutter es sich in ihren glorreichen Träumen ausgemalt hatte.
Doch beflügelt von der Aussicht, wieder nach England zurückkehren zu können, sobald ich sicher verheiratet war, hatte sie es tatsächlich fertiggebracht, sich im Krankenbett aufzurichten und das Angebot als »sehr attraktive Partie« zu bezeichnen. Es ging um nichts anderes als Gewicht, Maße und Ware, und jetzt hat dieses Gütersystem vielleicht seinen wahrhaftigsten Ausdruck gefunden. Statt zu einem dicken, alternden Tuchhändler nach London verschifft zu werden, werde ich an einen anderen Mann in einem anderen fremden Land verkauft.
Wir sind seit vielen Tagen auf See, weit mehr als die drei, die man von Scheveningen zur englischen Küste braucht. Ich habe noch nie im Leben so viel Zeit für mich gehabt. Als Vater starb, war ich dreizehn. Am Tag seiner Beerdigung zog Mutter sich in ihre Gemächer zurück und kam nie wieder heraus. Sie verbrachte die Zeit damit, vor sich hin zu träumen, Gedichte zu lesen, aus dem Fenster zu blicken und ihrer verlorenen Jugend nachzutrauern, wenn sie nicht gerade schaurig auf dem Spinett spielte.
Als Vater noch lebte, hatten wir Personal: eine Köchin, eine Haushälterin, einen Diener, zwei Hausmädchen und einen Gärtner. Nach seinem Tod offenbarte sich uns der wahre Zustand seiner Finanzen, und als die Kredite gekündigt und die Schulden eingefordert wurden, sodass wir sie nicht mehr bezahlen konnten, verließen sie uns in rascher Folge, einer nach dem anderen. Am Ende blieben nur noch die alte Judith und ihre Tochter Els. Judith kochte, auf ihre Art, und Els konnte so gerade eben mit einem Schälmesser umgehen und Teig kneten. Trotz meiner Jugend musste ich die Rolle der Haushälterin übernehmen. Wir lebten nicht gut, aber ich war ständig mit all dem Kleinkram beschäftigt, ohne den ein Haushalt nicht reibungslos läuft – mit Fegen, Putzen, Nähen, Stopfen und der Pflege des Gartens, in dem ich nun Gemüse anbaute und Spalierobst züchtete.
Stück für Stück verkaufte ich Vaters Antiquitätensammlung: seine italienischen Gläser und das Porzellan, seine Bücher, Kuriositäten und sogar seine geliebten wissenschaftlichen Instrumente. Dann kamen die hübschen türkischen Teppiche an die Reihe und zuletzt die Möbel in allen Räumen außer dem Empfangszimmer, wo gelegentlich immer noch Gäste Platz nahmen. Der Rest des Hauses blieb auf das Notwendigste beschränkt. Weniger Putzerei, sagte ich mir und beschäftigte mich mit den Finanzen. Wie sehr sehnte ich mich danach, Mutters verdammtes Spinett verkaufen zu dürfen; der Klang seiner falsch angeschlagenen Töne hallte durch das zunehmend leere Haus und war unerträglich für meine Ohren.
Als Mr. Burkes Antrag kam, hätte ich erleichtert sein sollen, dass nun wenigstens jemand für uns sorgen würde und ich mich nicht länger mit derart ordinären Dingen herumschlagen müsste. In Wahrheit aber genoss ich die praktische Seite eines solchen
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