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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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Gegend zu sein«, bemerke ich ironisch.
    »O ja!«, erklärt sie stolz. »Wir haben hier Gefangene aus aller Welt.« Sie erzählt mir, dass die Stadt Salé heißt und an der nördlichen Küste von Marokko liegt, ein Wort, das ich bislang nur mit den feinen Lederwaren assoziierte, die auf dem Markt in Den Haag feilgeboten wurden. Offenbar ist es der wichtigste Hafen für den Handel mit ausländischen Sklaven in den Barbareskenstaaten. »Die Verliese meines Herrn sind voll mit Sklaven aus Spanien und Portugal, Frankreich und Sizilien, Korsika und Malta, bis hin zu Irland und den Ländern nördlich davon.« Zu Lebzeiten ihrer Mutter habe es einen berühmten Angriff auf die Stadt Reykjavik gegeben, wo an einem einzigen Tag mehr als vierhundert Gefangene gemacht wurden. Sie streckt den Arm aus und berührt meine Wange. »Sie waren noch blasser als du, diese Frauen. Meine Mutter sagte, sie sahen aus wie aus Eis geschnitzt. Seit dieser Zeit ist die vornehme Gesellschaft hier ganz verrückt nach blassen Frauen mit blondem Haar. Sie sind ein Statussymbol, verstehst du. Nur ein reicher Mann kann sich ein solch seltenes Geschöpf leisten.« Sie tätschelt meine Hand, als hätte unsere gemeinsame Sprache uns einander nähergebracht. »Du wirst einen guten Preis bringen.«
    Deshalb also wurde ich trotz meines Alters von den anderen Frauen auf dem Schiff getrennt. »Und wer ist dieser Sidi Qasem?«, frage ich.
    »Ein sehr angesehener Mann.« Sie murmelt etwas in ihrer heidnischen Sprache, streicht mit den Händen über ihr Gesicht, küsst die Handinnenflächen und berührt damit ihr Herz, als wäre er so etwas wie eine Ikone oder ein Heiliger. »Sidi Qasem ist der Anführer des Korsarenrats. Seine Schiffe haben unzählige fremde Sklaven erbeutet, Allah sei Dank! Du hast großes Glück, dass du von einem seiner Kapitäne gefangen genommen wurdest«, sagt sie, ohne den geringsten Anflug von Ironie. »Seine Frau, Lalla Zahra, war ebenfalls eine Gefangene. Sie stammte aus England und wurde dort Catherine genannt. Doch hier nennen wir sie Rose des Nordens. Sie nahm den Namen Zahra an, als sie zum Islam übertrat.«
    Ich fahre zusammen. »Sie wurde Mohammedanerin?«
    »Sie ist eine große Dame, ein Vorbild für uns alle. Du wirst sie bald kennen lernen, und das ist eine große Ehre für dich.«
    Ich schürze die Lippen und sage nichts dazu.
    Später führt man mich nach unten in einen großen Raum, an dessen Wänden sich niedrige Sitzbänke entlangziehen. Die Einrichtung ist schlicht, aber elegant. Meine Mutter kennt sich mit Qualität aus. Da sie mich gelehrt hat, guten Geschmack zu erkennen, weiß ich sofort, dass der Besitzer dieses Hauses sehr viel Geld hat, es aber klug einsetzt und nicht, um nach außen hin damit zu protzen. Man bedeutet mir, die Schuhe am Eingang abzustreifen. Die Teppiche in den Farben eines gedämpften Sonnenuntergangs fühlen sich unter meinen Fußsohlen seidenweich an. Unter der Decke zieht sich ein Fries entlang, dessen Muster so komplex wie eine Honigwabe ist. Die Decke selbst besteht aus dunklem Holz, die Wände sind weiß und die Bezüge der Sitzbänke aus schlichtem, hellem Leinen, doch die darauf verteilten Kissen haben bunte Bezüge aus Seide oder Samt, und beim Anblick des darüber hängenden Wandteppichs stockt mir der Atem. Ich berühre ihn vorsichtig mit den Fingerspitzen und hebe einen Zipfel an, um mir die Rückseite der Stickerei anzusehen. Sie ist genauso tadellos verarbeitet wie auf der Vorderseite: Kennzeichen eines echten Meisters. Es ist seltsam, solche Schönheit an einem Ort zu finden, der von der Grausamkeit lebt.
    »Wie ich sehe, interessierst du dich für Stickerei.«
    Beim Klang der englischen Sprache fahre ich zusammen. Als ich mich umdrehe, steht eine elegante Frau von sechzig oder fünfundsechzig Jahren vor mir, die mich mit einem angedeuteten Lächeln beobachtet. Ihre Augen strahlen in einem winterlichen Graublau, doch die inneren Lidränder sind mit dunkler Farbe nachgezogen, was sehr fremd und zugleich sehr direkt wirkt und als Erstes auffällt. Ich bin es nicht gewohnt, so ungeniert gemustert zu werden; es ist mir unangenehm. So konzentriere ich mich auf die Einzelheiten ihrer großen silbernen Ohrringe und der feinen Perlenkette, die sie sehr hoch um den Hals trägt. Ihr Gewand ist leuchtend blau, Blenden und Aufschläge sind mit Silberfäden und Stickperlen geschmückt. Sie ist groß und hält sich beeindruckend aufrecht. Doch als sie sich auf einem der Kissen niederlässt,

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