Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
verzieht sie das Gesicht, als schmerzten ihre Glieder, und mir geht auf, dass sie älter ist, als ich glaubte.
»Willkommen in unserem Haus«, sagt sie und lädt mich ein, ebenfalls Platz zu nehmen, als wäre ich ein Gast, der sonntagnachmittags zum Teetrinken und Plaudern gekommen ist. »Ich bin Lalla Zahra, die Frau von Sidi Qasem, dem Besitzer dieses Hauses.«
»Mein Name ist Alys Swann aus Den Haag, aber meine Familie kam ursprünglich aus England.«
Ihr Mund zuckt. »Ich auch, vor langer Zeit. Aus einem Ort namens Kenegie in West Cornwall. Es kommt nicht oft vor, dass ich meine Muttersprache sprechen kann.«
»Weil nicht genügend englische Sklavengefangene vorbeikommen?«, frage ich spitz.
Sie schlägt sich auf die Schenkel und lacht laut auf. »Ach, es ist wirklich schade, dass wir dich fortgeben müssen, Alys Swann. Bestimmt hätte es Spaß gemacht, dich eine Weile hierzubehalten. Es ist schön, wenn man jemanden trifft, der Temperament hat, aber ich muss dich warnen: Vielleicht ist es nicht klug, dort, wo du hingehen wirst, allzu viel davon zu zeigen.«
Ich schlucke. »Und wo wird das sein, wenn ich fragen darf? Ich würde gern wissen, was mir bevorsteht. Ich finde, es hilft, sich mit seinem Schicksal abzufinden, wenn man Zeit hat, sich darauf einzustellen.«
Sie hebt die Braue. »Man hat dich für Meknès vorgesehen.«
Wie ein Schaf, für den Markt abgestempelt. »Und wer oder was bedeutet Meknès?«
»Ist es möglich, dass der Ruhm unseres großen Sultans sich nicht bis in die gehobene Gesellschaft der Niederlande verbreitet hat?«
»In solchen Kreisen verkehre ich nicht«, antworte ich abweisend. Sie spielt mit mir; das kann ich nicht leiden.
»Du bist als besonders kostbare Perle für unsere Allerheiligste Majestät ausersehen, den Herrscher Moulay Ismail, dessen Hof in der königlichen Stadt Meknès residiert. Wie mein Gatte erzählt, ist der Herrscher gerade dabei, sie auf beispiellose Art ausbauen zu lassen.«
Stumm verarbeite ich diese Information erst einmal. Als Mutter davon sprach, mich in die Aristokratie zu verheiraten, hatte sie wohl etwas anderes im Sinn.
»Du wirst in den königlichen Harem aufgenommen, wenn du vernünftig und manierlich bist, und bis ans Ende deiner Tage alles haben, was du dir wünschen kannst. Du wirst in einem Palast aus Marmor, Porphyr und Jaspis leben, von goldenen und silbernen Tellern essen, im Sommer wirst du Kleider aus feinster Seide und im Winter aus weichster Wolle tragen und dich mit den herrlichsten Düften von Arabien parfümieren. Was könnte sich eine junge Frau mehr wünschen?«
»Der Herrscher von Marokko möchte mich zu seiner Kurtisane machen?« Die Vorstellung ist völlig absurd.
»Mit deinem hellen Haar und deiner blassen Haut bist du hübsch genug, um ihm als solche angeboten zu werden. Was er danach mit dir macht, ist seine Sache.« Sie lächelt liebenswürdig, als wäre es das Normalste der Welt, zusammenzusitzen und solche Fragen zu besprechen. »Nun komm schon, Alys, es ist alles halb so schlimm. Mag sein, dass Fremde den Sultan für ein Ungeheuer halten, aber in Wirklichkeit ist er ein Mann wie jeder andere. Als Angehörige seines Harems wirst du ein angenehmes Leben haben, und wahrscheinlich kannst du an einer Hand abzählen, wie oft du ihm zu Willen sein musst. Vielleicht ja bloß ein einziges Mal.«
Jetzt kann ich meinen Zorn nicht länger zügeln. »Einmal ist einmal zu viel!«
»Ich weiß, es ist schwer, sich damit abzufinden, dass man seine Freiheit verloren hat. Ich hatte mehr Glück als du, aber auch ich war eine Beute der Korsaren.«
»Wenn Ihr ebenfalls von Piraten verschleppt wurdet, müsste ich ein bisschen mehr Barmherzigkeit von Euch erwarten dürfen.«
»Es sind Korsaren, Alys, keine Piraten. Für dich besteht da vielleicht kein Unterschied, aber innerhalb dieser Kultur gelten diese Männer als Helden, nicht als Verbrecher. Sie tun ihre Arbeit nicht, um sich persönlich zu bereichern, sondern zum Wohl der Gemeinde.«
Ich deute auf den luxuriös eingerichteten Raum. »Euer schönes Haus zählt also nicht als persönliche Bereicherung?«
»Ich verstehe deinen Unmut, schließlich bist du jetzt eine Leibeigene, aber sei ehrlich, Alys: Sind denn Frauen jemals frei? Wurden wir in England und vermutlich auch in den Niederlanden nicht ebenfalls ge- und verkauft? Wegen eines Familiengeschäfts oder politischer Ambitionen in eine Ehe gezwungen, um den schwindenden Einfluss eines Landes zu festigen oder auch nur, damit
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