Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
die Familie uns los ist? Es muss ein unglaublicher Schock gewesen sein – und das verstehe ich sehr gut –, auf hoher See gekapert zu werden und sich unter Menschen wiederzufinden, die man als Heiden ansieht. Ich weiß, das kann einem große Angst machen. Ich selbst wurde 1625 bei einem Überfall auf die Kirche von Penzance gefangen genommen und hier in Salé auf dem Sklavenmarkt verkauft. Ich glaubte schon, mein Leben sei vorbei, dabei hatte es gerade erst begonnen. Der Mann, der mich kaufte, nahm mich zur Frau, und es war eine glückliche Ehe. Du wirst einwenden, dass ich einfach nur Glück hatte, ich aber sage dir, dass diese Menschen genauso sind wie alle anderen auch, Alys. Manche gottesfürchtig und respektvoll, sogar freundlich, andere boshaft und gehässig. Wir können nur das Beste hoffen …«
»Und auf das Schlimmste gefasst sein«, falle ich ihr ins Wort. Ihre Bekehrungsversuche ärgern mich.
Sie breitet die Arme aus. »Möglicherweise geht alles viel besser aus, als du befürchtest. Aber es schadet nicht, pragmatisch zu sein und sich so gut wie möglich mit dieser Situation zu arrangieren. Auf diese Weise kannst du deinen Charakter bewahren und die Schwierigkeiten … auf ein Minimum reduzieren.«
»Jedenfalls werde ich nicht konvertieren.«
»Du musst bei deinen Entscheidungen deinem Gewissen folgen. Aber was zählt, ist dein Herz, Alys. Sei nicht dickköpfig, ich bitte dich. Um deiner selbst willen.«
Einen Augenblick lang hängt eine Andeutung von Gewalt im Zimmer, dann höre ich hinter mir etwas rascheln, und von einem auf den anderen Augenblick werden ihre Züge weicher. Eine leichte Röte überflutet ihre Haut, als hätte man in ihrem Innern eine Laterne entzündet. Hinter mir erklingt die Stimme eines Mannes, tief und lebendig. Dann steht der Herr des Hauses neben mir und sieht auf mich herab.
Er ist alt und hager, mit einem dunklen Gesicht und kurzem schneeweißem Bart. Seine Augen unter dem kompliziert gewickelten Turban sprühen Feuer, während er mich scharf und durchdringend mustert. Ich bin verblüfft, als er mich auf Englisch anspricht. »Guten Tag, Alys Swann. Mein Kapitän neigt zur Übertreibung, aber wie ich sehe, war seine Beschreibung in diesem Fall zutreffend.«
Ungläubig und kühn zugleich erwidere ich seinen Blick. »Hübsch genug, um einem grausamen Sultan als Hure zu dienen, wie ich höre.«
Seine Augen funkeln. »Wie ich sehe, bist du eine Frau mit festen Grundsätzen. Feste Grundsätze und Schönheit sind zwei lobenswerte Eigenschaften, aber wenn sie zusammenkommen, ist es, als spannte man einen wilden Hengst und ein Maultier vor denselben Karren. Das Resultat kann gefährlich sein.«
»Für den Kutscher oder die Fahrgäste?«
»Für alle Betroffenen, aber ganz besonders für dich. Es wäre wirklich schade, so viel Temperament und Schönheit zerstören zu müssen.«
»Würde man mich foltern, damit ich meinen Glauben verleugne?«
»Der Herrscher wird jedenfalls keine Ungläubige in seinem Bett dulden.«
»Vielleicht wäre es das Beste, mich auf dem Sklavenmarkt an den Höchstbietenden zu verkaufen.«
Mit erstaunlicher Anmut und Geschmeidigkeit lässt er sich mit verschränkten Beinen vor mir auf dem Boden nieder, sodass er mir in die Augen sehen kann. »Der Herrscher ist immer der höchste Bieter, Alys Swann, selbst wenn er nicht mit Geld bezahlt. Du wirst das nicht verstehen, ich weiß, aber glaub mir, ich würde es nicht wagen, dich anderswo zu verkaufen. Moulay Ismail würde es erfahren, und ich verlöre meinen Kopf. Junge Frauen von solch auffallendem Äußeren sind auf unseren Märkten zu selten, um keine Aufmerksamkeit zu erwecken.«
»Dann behaltet mich hier als Eure Dienstbotin«, fordere ich ihn heraus.
»Das ist unmöglich, es tut mir leid, aber wir müssen dich fortgeben. Du bist ein Schatz, der einem Herrscher angemessen ist, und für den Herrscher werden wir dich vorbereiten.«
SIEBEN
D rei Tage später kommt Lalla Zahra mit einem Bündel seidener Gewänder in mein Zimmer. Sie breitet sie auf dem Teppich aus und sortiert sie zu verschiedenfarbigen Häufchen. Dann hält sie eines an mein Gesicht. »Das steht dir.«
Es ist ein schlichtes Gewand aus türkisfarbener Seide mit weiten Ärmeln und durchgehenden Schlingenverschlüssen vorn, anders als jedes Kleidungsstück, das ich je getragen habe. Pragmatismus, begrenzte Mittel und die Einschränkungen eines Klimas, das eher nach Kammgarn und Wolle verlangt, haben mich immer daran gehindert, etwas
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