Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
so Unpraktisches zu tragen. Ich brenne darauf, es anzuprobieren, kämpfe jedoch gegen dieses Bedürfnis an. »Das glaube ich nicht«, sage ich und verschränke die Arme.
»Versuch es.«
So stehen wir uns einen langen Augenblick gegenüber und starren einander an. Dann lächelt sie. »Ich verstehe deinen Widerwillen, Alys, ich bin nicht aus Stein. Doch bestimmte Ereignisse nehmen einen unausweichlichen Gang, und dann ist es unmöglich, von da aus wieder zurückzugehen. Lass uns das Beste daraus machen und aus dir auch.«
Ich ziehe mich bis aufs Hemd aus, und sie streift mir das Kleid über den Kopf und die erhobenen Arme. Die Seide fühlt sich auf meiner erhitzten Haut an wie Wasser, ist aber so dünn, dass es unziemlich wirkt.
»Das hier zieht man darüber.« Sie reicht mir ein weiteres durchsichtiges Kleidungsstück, eine Art Überkleid mit Stickereien auf einem goldenen Untergrund. Es ist äußerst kunstvoll gemacht. Ich merke, wie meine verräterischen Hände danach greifen, als hätten sie einen eigenen Willen.
Sie löst mein Haar, sodass es über die Schultern fällt, und führt mich zum Spiegel, wo ich mein ungewohntes Spiegelbild betrachte. Die Veränderung löst einen beinahe körperlichen Schmerz aus. Wenn Laurent mich so gesehen hätte, wäre er dann auch so leicht gegangen?
Laurent war ein umherziehender Künstler; in den Niederlanden wimmelt es zurzeit nur so von ihnen. Sie behaupten, es sei das Land, in dem man sich so am leichtesten mit Farbe und Pinsel durchschlagen kann. Als der Krieg gegen Spanien endlich zu Ende ging und der Handel aufblühte, wollte jeder niederländische Kaufmann plötzlich seinen Reichtum zur Schau stellen und sich nicht nur mit schönen, echten Objekten umgeben, die seinen Glauben an die neue Realität untermauerten, sondern auch mit Abbildungen dieser Objekte. Stillleben, Stadtszenen, Porträts: Ein Haus wurde erst zum Heim, wenn an den Wänden mindestens ein Dutzend gerahmte Bilder von der Welt drinnen und draußen hingen. Die Niederländer hängten ihre Seele an einen Nagel, damit jeder sie sah. Der gebürtige Franzose Laurent hatte versucht, als Maler in seiner Heimat zu leben, aber die Franzosen haben in solchen Dingen recht hohe Ansprüche, und er hatte sich keinen Namen machen können. Er besaß zwar ein gewisses Talent, war aber kein hervorragender Zeichner. Trotzdem hatte er in Den Haag ein gutes Auskommen gehabt. Er sah gut aus, das mag ein Grund gewesen sein. Frauen und Töchter von Kaufleuten genossen seine Aufmerksamkeiten. Schwarzes Haar, dunkle Augen, feingliedrige Gestalt: Er war so ganz anders als die kräftigen, blonden, rotwangigen Männer in ihrer Stadt. Ich habe mich nie für ein romantisches Dummchen gehalten, dem man mit einem auffallenden Gesicht oder einem blumigen Kompliment den Kopf verdrehen konnte, doch als ich Laurent begegnete, war es so, als wäre mein Herz von einer Klippe gesprungen und mein Körper erst einen Augenblick später gefolgt.
Er klopfte auf der Suche nach einem Auftrag auch an unsere Tür. Da er ein stattliches, repräsentatives Kaufmannshaus sah, erwartete er zweifellos, dass ein ebenso stattlicher und repräsentativer Kaufmann ihm aufmachte, doch als ich ihm die Situation erklärte, sah ich, wie sich ganz kurz sein Gesicht verzog, bevor er seine Fassung wiederfand und sich entschuldigte. Dieser Augenblick der Enttäuschung, den ich beobachtet hatte, war mein Untergang: In diesem Augenblick verliebte ich mich. Eine wahrlich absonderliche Entscheidung – sich nach etwas zu sehnen, das man niemals haben kann. In diesem unbedachten Moment hatte er mir deutlich gezeigt, was er von mir hielt: Ich war weder reich genug noch bezaubernd genug, um ihn als Mensch oder als Objekt seiner Kunst zu interessieren.
Zwar hatten wir viele leere Wände, an denen sich ein Gemälde gut gemacht hätte, aber kein Geld, um Aufträge zu vergeben. Ich gab ihm trotzdem einen.
Judith hörte unser Gespräch mit an. Sie stand genau hinter mir, als ich mich wieder zum Haus umdrehte, nachdem der Franzose mit großen Schritten die Straße hinabgegangen war, so selbstherrlich, dass sich mir vor Aufregung der Magen umdrehte.
»Das können wir uns nicht leisten«, sagte sie. »Ihr wisst genau, dass es nicht geht.«
Ich war ihre Arbeitgeberin, und sie war nur eine Dienstbotin, aber wenn man jeden Morgen bei Sonnenaufgang zusammen Brot backt, werden solche Unterschiede gleich mit im Teig verarbeitet. Ich war daran gewöhnt, dass sie kein Blatt vor den Mund
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