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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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Aufseher sein Pferd zurücklenkt und dem Jungen einen so brutalen Hieb mit der Peitsche versetzt, dass er aufschreit und stolpert.
    Ich wende mich mit Tränen in den Augen ab. Welche Hoffnung kann es für uns geben, wenn diese Männer wie Tiere behandelt werden?
    Sidi Qasem taucht neben mir auf. »Warum die Tränen, Miss Swann?«
    »Müssen sie den ganzen Weg bis nach Meknès laufen?«
    »Sie werden laufen oder sterben.«
    »Und was geschieht mit ihnen, wenn sie dort ankommen?«
    »Sie werden helfen, Moulay Ismails neue Stadt zu bauen. Wenn sie nicht unterwegs sterben, dann mit Sicherheit in Meknès. In einer Woche, einem Monat, vielleicht auch erst in einem Jahr, wenn sie zäh sind. Ismail ist ein strenger Arbeitgeber; Krankheit oder Schwäche zählen für ihn nicht.«
    »Was für eine Verschwendung von Menschenleben, nur um eine Stadt zu bauen.«
    »Es ist nicht nur eine Stadt, Alys. Es ist ein Opfer an Gott. Unsere Religion baut eine Zivilisation auf. Sie kam aus der Wüste und schuf innerhalb von einem Jahrhundert die größte Zivilisation der Welt. Allah hat uns befohlen, die Wüste nicht als Wüste fortbestehen zu lassen, den Berg nicht als Berg. Die Welt muss dem göttlichen Plan entsprechend verwandelt werden, und in dieser Verwandlung finden wir unsere Verbindung zum Göttlichen. Meknès ist ein Gebet an Gott, ein einziger Lobgesang, und Ismail ist sowohl Architekt als auch Sänger. Wir alle spielen unsere Rolle in einem übergeordneten Plan.«
    Ich fröstele, als ich mich wieder in die Kutsche setze, neben die beiden jungen Frauen, die entschlossen sind, für die katholische Sache zu sterben, während Sidi Qasem von Mord als Teil eines göttlichen Plans spricht. Ich bin von Fanatikern umgeben. Die Frage ist nur: Bin ich auch eine?

NEUN
    Dritter Sabbat Rabi’ al-thani 1087 AH
    D rei Wochen schmore ich schon in dieser dunklen Zelle, umgeben von Wahnsinnigen und Verbrechern. Drei Wochen, das ist nicht lange, gemessen am großen Ganzen, ich weiß: Aber in einer stockdunklen Zelle zieht sich die Zeit in die Länge wie die ewige Verdammnis.
    Der qadi hatte mich schon in der ersten Woche vorführen lassen, äußerst zufrieden mit sich. Wieder ein grausiges Verbrechen gelöst, ein weiterer Schurke festgesetzt. Auf Mord steht Hinrichtung mittels eines Nagels, der mit einem Hammer in den Schädel getrieben wird. Das erklärte er mir genüsslich. Der kleine, vierschrötige Mann strahlte eine Sanftheit aus, die von einem guten Leben herrührt, so wie man es sich nur mit vielen Bakschischs erlauben kann, die einem zugesteckt werden. Unglücklicherweise hatte ich nichts, mit dem ich ihn bestechen konnte. Ich bin ein Sklave, ganz gleich, in welch gehobener Stellung, und Sklaven werden nicht bezahlt.
    Ich fragte, ob der Sultan von meiner Lage wisse, und er lachte mir ins Gesicht. »Warum sollte sich der Sultan für das Schicksal eines x-beliebigen schwarzen Mörders in dieser Stadt interessieren? Wir haben in diesem Monat bereits dreißig andere hingerichtet, und wie Ratten kommen immer neue hinzu.«
    Allein die Tatsache, dass ich nach drei Wochen immer noch im Kerker schmachte, ohne meinen Pflichten nachzukommen, verrät mir alles, was ich wissen muss: Ich bin entbehrlich, man hat mich vergessen. Ich frage mich, wer Ismail jetzt zum Gebet begleitet, seine babouches nach Skorpionen absucht, sein Essen vorkostet, Nachrichten überbringt oder sein Diwanbuch führt. Ich quäle mich mit der Vorstellung, wie mein Nachfolger mein kleines Zimmer übernimmt und meine Habseligkeiten hinauswirft: das wenige, worauf mein Leben beschränkt war. Ich frage mich, ob er sich zwischen seinen Obliegenheiten ein paar Minuten Zeit nimmt, um in dem Hof zu sitzen, wo ich in meiner Dummheit die blutbefleckten babouches versteckt hatte. Ob er die warme Berührung der Sonne auf dem emporgewandten Gesicht oder den Duft des Jasmins genießt, der über den Steg wuchert. Hier stinkt es nur nach Kot, Urin und saurem Angstschweiß, und man möge mir glauben: Nichts davon hat große Ähnlichkeit mit Jasmin.
    Wenn der Muezzin ruft, wende ich mich zusammen mit den anderen Unglücklichen zum Beten. Doch wer kennt an diesem Ort, in dieser Dunkelheit die Richtung, in der Mekka liegt? Ich denke an Ismail und sein Heer von Astronomen, die mit Astrolabien und Berechnungen ausgestattet sind, mit Linealen und Winkelmessern herumfuchteln, die Alhidade auf den Winkel der Sonne ausrichten, nur um dem Sultan präzise sagen zu können, in welcher Richtung die heilige

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